Das „Elixier von Städten“ schützen

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Die deutschen Städte zeigen sich „massiv schockiert“ von den Enthüllungen des Recherchenetzwerks Correctiv bezüglich eines Treffens zwischen Rechtsextremen und unter anderem Funktionären der Partei AfD. Bei dem Treffen soll laut Correctiv über die Idee der sogenannten Remigration, also einer massenhaften Abschiebung auch deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund, gesprochen worden sein. Bei den Sitzungen von Präsidium und Hauptausschuss des Deutschen Städtetags in Trier rückte das Thema auf die Tagesordnung. Angesichts der rechtsextremen Thesen befürchten die Städte laut Städtetagpräsident Markus Lewe, Oberbürgermeister von Münster, eine Spaltung der Gesellschaft und warnen eindringlich vor einer Erosion der Demokratie. In Reaktion auf die Rechercheergebnisse haben die Städte bei der Tagung die „Trierer Erklärung“ verabschiedet.

Angriff auf den „Kern unserer Verfassung“

„Wir nehmen nicht hin, dass rechtsextreme Kräfte eine Atmosphäre der Verunsicherung, der Angst und des Hasses in unserem Land und in unseren Städten schüren“, heißt es darin. Vielfalt gehöre zur Lebensrealität in den Stadtgesellschaften, Lewe nennt sie das „Elixier von Städten“. Es sei nicht zu akzeptieren, „dass Bürger, dass Familien, dass sogar Kinder in unseren Städten Angst davor haben müssen, von hier vertrieben zu werden“, so der Text der Trierer Erklärung. Ebenso sei es inakzeptabel, „wenn der Kern unserer Verfassung und die Basis unseres Zusammenlebens angegriffen wird: die Würde des Menschen“.

Gleichzeitig zeigen sich die Stadtlenker solidarisch mit denjenigen, die derzeit zu tausenden gegen Rechtsextremismus und Rassismus demonstrieren. „Die Menschen, die aktuell gemeinsam auf die Straßen gehen, um Farbe zu bekennen für Demokratie und Menschenwürde, senden ein klares Signal der Solidarität – und gegen die Spaltung unserer Stadtgesellschaften“, so die Trierer Erklärung.

Warnschuss, Weckruf und Trierer Erklärung

Im politischen Diskurs könne man selbstverständlich unterschiedliche migrations- und asylpolitische Auffassungen vertreten, meinte Lewe bei der gestrigen Pressekonferenz im Anschluss an die Tagung in Trier. „Wir brauchen Auseinandersetzung, wir müssen Streit aushalten und Widersprüche akzeptieren.“ Gedanken an die Deportation von tausenden Menschen überschritten jedoch die Grenze des Diskurses. Hier sei eine „neue Dimension“ erreicht, die die „Substanz und Kern-DNA“ der Demokratie gefährde, so Lewe. Man könne unzufrieden mit der Politik sein, wer aber dafür menschenunwürdige und faschistoide Alternativen wähle, ebne den Weg ins Unglück. Insofern seien die Correctiv-Rechercheergebnisse nicht zuletzt mit Blick auf anstehende Wahlen ein „Warnschuss“.

Mit der Fragestellung, wer denn in diesem Land bleiben dürfe und wer nicht, wer akzeptiert sei und wer nicht, wer zu uns gehöre und wer nicht, drohe sich ein spalterisches und zersetzendes Klima der Angst in die Stadtgesellschaften hineinzufressen, warnt der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Helmut Dedy. „Das beginnt im Kleinen, tröpfchenweise.“ Dem gelte es, konsequent entgegenzutreten, so Dedy. Insofern spricht Städtetagvizepräsidentin Katja Dörner, Oberbürgermeisterin von Bonn, angesichts der Correctiv-Enthüllungen von einem „Weckruf“. Alle Demokraten seien aufgefordert, politisch sensibel zu sein, sich für Zusammenhalt und Solidarität starkzumachen und gegen Rassismus einzustehen. Die Städte unterstützten diese Haltung, so Dörner.

a.erb@stadtvonmorgen.de

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.