Vor welchen Transformationsaufgaben stehen die deutschen Städte? Was treibt sie um? Und was erwarten sie sich angesichts der anstehenden Neuwahlen von der Bundespolitik? Diese Fragen stellt #stadtvonmorgen zum Jahreswechsel 14 deutschen Stadtlenkern. An dieser Stelle antwortet Oberbürgermeisterin Katrin Albsteiger aus Neu-Ulm. Die Antworten aller 14 Oberbürgermeister erscheinen nacheinander in der Serie „Über die Jahresschwelle“ auf dieser Plattform sowie gebündelt am 2. und 8. Januar im #stadtvonmorgen-Newsletter. Der Newsletter kann kostenlos hier abonniert werden.
Wohnraummangel große kommunale Herausforderung
stadtvonmorgen: Ob Energie, Mobilität, Innenstadtentwicklung, Digitalisierung, Wohnungsbau oder Klimaschutz und -anpassung: Das Spektrum großer Transformationsthemen, vor denen Städte stehen, ist weit. Auf welchen Feldern liegen speziell für Ihre Stadt die zentralen Zukunftsthemen und drängendsten Herausforderungen?
Katrin Albsteiger: Das sind im Wesentlichen auch die Top-Themen in Neu-Ulm. Pro Jahr besteht ein Bedarf an rund 400 Neubauwohnungen. Ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ist aktuell eine große Herausforderung. Mit dem Bevölkerungswachstum der letzten Jahrzehnte wachsen auch die Mobilitätsherausforderungen. Auch deshalb investieren wir viel in den Ausbau des ÖPNV und die Radverkehrsinfrastruktur. Zudem digitalisieren wir unsere Dienstleistungen für die Bürgerschaft und nutzen digitale Technologien auch in der Stadtentwicklung, um zu effizienteren Lösungen und besseren Entscheidungen zu kommen. Lassen Sie mich noch drei weitere Zukunftsherausforderungen speziell für Neu-Ulm nennen. Erstens: wirtschaftliche Resilienz. Firmen wie Bechtle, die 2026 einen IT-Zukunfts-Hub mit 300 IT-Arbeitsplätzen in Neu-Ulm eröffnet, tragen mit ihrem Vertrauen in unsere Stadt zu einem erfolgreichen Strukturwandel bei. Zweitens: gesellschaftlicher Zusammenhalt. Ich setze mich sehr dafür ein, dass Alt und Jung, Arm und Reich, alteingesessene und neue Bürger, Stadtmitte und ländliche Ortsteile in Neu-Ulm auch in Zukunft aneinander interessiert bleiben und füreinander da sind. Drittens: Bürgerbeteiligung neu denken. Ich glaube, dass wir im demokratischen Prozess für mehr Transparenz sorgen und Bürger aktiver als bisher in Entscheidungsprozesse einbeziehen sollten.
Es fehlen Finanzmittel für die Transformation
stadtvonmorgen: Welches sind dabei die größten Hürden für Ihre Stadt?
Katrin Albsteiger: Die größte Hürde aktuell sind die städtischen Finanzen. Uns fehlen die Mittel, um die Transformationen in dem Umfang und der Geschwindigkeit zu gestalten, wie ich es für nötig erachte. Die Gründe sind vielschichtig und haben mehr mit dem komplexen System des föderalen Finanzausgleichs als mit dem Wirtschaften der Stadt zu tun. Während wir den Haushalt für das Jahr 2025 aufstellen, wissen wir beispielsweise noch nicht, um wieviel höher die Umlage ausfallen wird, die wir jährlich an den Landkreis abführen müssen. Sicher ist: Nach Abzug der Ausgaben für die Erfüllung städtischer Pflichtaufgaben, Personal und nicht aufschiebbare Bauprojekte bleibt 2025 sehr wenig finanzieller Spielraum für Zukunftsprojekte. Weitere Hürden sind der Fachkräftemangel, die Bürokratie und eine gewisse Transformationsmüdigkeit angesichts der vielen gleichzeitigen Herausforderungen.
stadtvonmorgen: Wo sehen Sie die wichtigen Stellschrauben: Was braucht Ihre Stadt, um Ihre Aufgaben zu meistern und in die Zukunft zu schreiten?
Katrin Albsteiger: Die wesentliche Stellschraube ist strategischer Weitblick. Dazu gehört auch der Mut, bestimmte Dinge nicht oder nicht mehr zu tun – so schwer das auch fällt. Und wir müssen uns auf den zunehmenden Fachkräftemangel besser einstellen. Künstliche Intelligenz kann hier einen wichtigen Beitrag leisten, ist aber nur ein Teil der Antwort. Ein anderer Teil ist die Stärkung der Arbeitgebermarke der Stadt. Die entsprechende Kampagne halte ich für sehr gut angelegtes Geld. Außerdem setzen wir in der Stadt Neu-Ulm auf ko-kreative Lösungen mit der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Hier haben wir in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht. Die wichtigste Stellschraube für Neu-Ulm ist und bleibt eine partnerschaftliche Zusammenarbeit innerhalb des gemeinsamen Oberzentrums mit der Stadt Ulm, mit dem Landkreis Neu-Ulm und mit der Region insgesamt.
„Mehr Qualität statt Quantität“ bei der Bürokratie
stadtvonmorgen: Was erwarten Sie sich von der Bundespolitik und einer sich neu formierenden Regierung für die Kommunen?
Katrin Albsteiger: Kommunen müssen wieder mehr Rechts- und Planungssicherheit bekommen. Beim Thema Bürokratie erwarte ich von einer neuen Bundesregierung mehr Qualität statt Quantität. Die Fördermittelbürokratie ist in Teilen hochgradig ineffizient. Die Stadt Neu-Ulm hat sich in einigen Fällen schon gegen die Inanspruchnahme von staatlichen Fördermitteln entschieden, weil der durch Auflagen und Berichtspflichten entstehende Zusatzaufwand den Nutzen für die Stadt übersteigt. Das geht so nicht weiter. Und ich erwarte in Zukunft eine konsequente Anwendung des Konnexitätsprinzips im föderalen System. Sprich: Was der Bund an zusätzlichen Aufgaben für die Kommunen bestellt, muss er auch bezahlen.
stadtvonmorgen: Was ist Ihr erreichbares, nicht zu fernes Zielbild: Wie sieht Ihre Stadt von morgen aus, welche typischen Merkmale hat sie?
Katrin Albsteiger: Ich stelle mir Neu-Ulms Zukunft nachhaltig, smart, inklusiv und kulturell lebendig vor. Öffentlicher Nahverkehr, Fahrrad- und Fußwege in Neu-Ulm sind ausgebaut. Unsere Grünflächen, die sich wie ein Band quer durch die Stadt ziehen, sind attraktive und gesunde Aufenthaltsräume. Öffentliche Dienstleistungen können auch einfach und intuitiv per App oder online in Anspruch genommen werden. Intelligente Technologien bereichern das Zusammenleben in der Stadt. Wir haben starke Kooperationsnetzwerke in der Stadt und der Region. Das soziale Miteinander und kulturelle Vielfalt bleiben ein Herzstück unserer städtischen Identität. Das ist meine Richtschnur. Eine solide wirtschaftliche Basis ist das Fundament dieser Transformation. Deshalb setze ich mich immer energisch für den Erhalt und Ausbau unserer wirtschaftlichen Leistungsstärke und der Arbeitsplätze in Neu-Ulm ein.
Info
Die Interviews mit allen 14 Oberbürgermeistern in der Serie „Über die Jahresschwelle“ gibt es zum Nachlesen gebündelt in den #stadtvonmorgen-Newslettern am 2. und am 8. Januar. Anmeldung kostenlos hier.
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.

