Zur Finanzierung des kommunalen Klimaschutzes schlägt das Deutsche Institut für Urbanistik (difu) eine Grundgesetzänderung, nämlich die Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz, vor. Die difu-Studie mit dem Titel „Gemeinschaftsaufgabe kommunaler Klimaschutz“ stellt einer solchen Gemeinschaftsaufgabe die Umverteilung von Umsatzsteuereinnahmen als Finanzierungsoption gegenüber. Beauftragt wurde die Untersuchung von der Klimaschutzorganisation Klima-Allianz Deutschland, gefördert vom Klimaschutzministerium. Gegenüber #stadtvonmorgen erläutert Institutsdirektor Carsten Kühl, der das Papier mit dem Stadtforscher Henrik Scheller erarbeitet hat, die Studienergebnisse.
Gemeinschaftsaufgabe statt freiwilliger Aufgabe
#stadtvonmorgen: Herr Prof. Kühl, vor welchen Herausforderungen stehen Kommunen hinsichtlich der Finanzierung des Klimaschutzes?
Carsten Kühl: Klimaschädliche Aktivitäten gehen fast immer von kommunalem Hoheitsgebiet aus. Das bedeutet aber bei weitem nicht, dass Kommunen auch immer die Verursacher oder die Verantwortlichen der Klimaschäden sind. Für Kommunen ist Klimaschutz eine freiwillige Aufgabe. Das heißt, Klimaschutz steht bei ohnehin äußerst angespannter Haushaltssituation in fiskalischer Konkurrenz zu anderen freiwilligen Aufgaben oder die Kommunen müssen auf spezifische – oftmals sehr bürokratische – Förderprogramme der Länder oder des Bundes warten, um sich notwendige Klimaschutzmaßnahmen leisten zu können.
#stadtvonmorgen: Nun regen Sie an, den Klimaschutz als „Gemeinschaftsaufgabe“ von Bund, Ländern und Kommunen im Grundgesetz zu verankern. Warum? Welche positiven Effekte auf die Finanzierung des Klimaschutzes in Kommunen sind davon zu erwarten?
Carsten Kühl: Wenn Kommunen Klimaschutz alleine betreiben, fallen die Vorteile der Klimaschutzmaßnahmen in der Regel nur zum Teil bei den Bürgern der eigenen Kommune an, die Kosten trägt die jeweilige Kommune aber komplett. Ökonomen sprechen dann von räumlich externen Effekten, was aber dazu führen kann, dass weniger für den Klimaschutz getan wird als gesamtgesellschaftlich sinnvoll wäre. Anders ausgedrückt: Eine Gemeinschaftsaufgabe, die auch die öffentlichen Haushalte von Bund und Ländern in die Finanzierung einbezieht, vermeidet, dass nur deshalb zu wenig in den Klimaschutz investiert wird, weil die Kommunen die Kosten nicht all jenen anlasten können, die von den Klimaschutzmaßnahmen profitieren.
Klimaschutz in Konkurrenz zu kommunalen Aufgaben
#stadtvonmorgen: Erleben Sie es in der Praxis tatsächlich als Verhinderungsargument für Klimaschutzmaßnahmen, dass ein Oberbürgermeister sagt, „wir setzen ein Klimaschutzprojekt nicht um, weil die damit verbundene CO2-Einsparung nicht nur uns, sondern der ganzen Welt zugutekommt“?
Carsten Kühl: Zunächst wäre das ja keine Ignoranz oder Verhinderungspolitik, sondern Ausdruck einer fehlenden fairen Kostenanlastung, wenn man einfordert, dass den eigenen Bürgern Kosten nur insoweit angelastet werden, wie ihnen auch ein Vorteil, also hier eine verbesserte Umweltqualität, gegenübersteht. Zum anderen stehen in Zeiten knapper Finanzen die Dinge, die Kommunen als freiwillige Aufgaben finanzieren können, in Konkurrenz zueinander. Und dann ist es nachvollziehbar, dass die Leistungen einer Kommune, von denen die eigenen Bürger nur partiell profitieren, es schwerer haben, sich in den Präferenzen der kommunalen Entscheidungsträger durchzusetzen. Es sei denn, man korrigiert eine solche Fehlallokation durch eine geeignete Mischfinanzierung.
#stadtvonmorgen: Zurück zur Gemeinschaftsaufgabe. Die Definition des Klimaschutzes als Gemeinschaftsaufgabe macht aber nicht zwangsläufig mehr Geld locker, oder? Glauben Sie, dass sich dadurch die Debatten um Finanzen und Ressourcen zwischen Bund, Ländern und Kommunen auflösen?
Carsten Kühl: Nein, mehr Geld ist deshalb nicht vorhanden. Aber die Bündelung kommunaler Klimaschutzmaßnahmen in einer Gemeinschaftsaufgabe schafft erstens Transparenz, und das ist immer wichtig, wenn man Ziele – in unserem Fall Klimaschutzziele – erreichen will. Und zweitens – und das ist entscheidend – ermöglicht die Finanzaufteilung im Rahmen einer Gemeinschaftsaufgabe, dass die Klimaschutzziele effizienter umgesetzt werden. Einfacher ausgedrückt: Die Mittelverteilung kann so gestaltet werden, dass mit dem vorhandenen Geld die größte klimaschutzpolitische Wirkung erreicht wird. Wir bezeichnen das in unserem Gutachten als ökologisch-ökonomische Effizienz.
Gemeinschaftsaufgabe oder Umverteilung der Umsatzsteuer?
#stadtvonmorgen: Sie haben das Modell der Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe mit der Option einer Umverteilung der Umsatzsteuereinnahmen zugunsten des kommunalen Klimaschutzes verglichen. Kurz zusammengefasst: Welches sind die Pros und Contras?
Carsten Kühl: Der vermeintliche Vorteil der Umsatzsteuerverteilung liegt auf der Hand. Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer können einfachgesetzlich zwischen Bund, Ländern und Kommunen umverteilt werden. Die Einführung einer Gemeinschaftsaufgabe bedarf einer Änderung des Grundgesetzes. Diese Hürde sollte man aber nicht zu hoch hängen, denn seit den letzten beiden Föderalismusreformen haben sich Bund und Länder nicht gerade schwer getan mit neuerlichen Änderungen der Finanzverfassung. Der Vorteil der Gemeinschaftsaufgabe liegt ebenfalls auf der Hand: Das Geld kann dorthin fließen, wo es die größten Bedarfe gibt und wo es die größte Wirksamkeit entfaltet. Die unterschiedliche Finanzkraft der Kommunen kann berücksichtigt werden. Im Ergebnis kann damit auch der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Rechnung getragen werden, die ja nicht nur von der Steuerkraft einer Kommune oder dem Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, sondern auch von der Umweltqualität vor Ort determiniert wird. Solche Differenzierungen sind bei der Umsatzsteuerverteilung, die nach der Einwohnerzahl und ohne Zweckbindung verteilt wird, nicht möglich.
#stadtvonmorgen: Die Berücksichtigung der lokalen Finanzkraft in die Mittelverteilung ist einleuchtend. Aber beim Bezug zum Thema „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ hakt es doch ein wenig, oder? Werden hier nicht Klimaschutz und Umweltschutz miteinander vermischt? Schließlich geht es bei der Frage nach gleichwertigen Lebensverhältnissen um lokale und regionale Disparitäten, die CO2-Einsparung ist aber lokal begrenzt kaum greifbar.
Carsten Kühl: Sie haben Recht, dass nicht jede Klimaschutzmaßahme eins zu eins mit verbesserter Umweltqualität vor Ort korreliert. Aber denken Sie zum Beispiel an CO2-mindernde Maßnahmen im Mobilitätsbereich. Wenn urbane Mobilität jenseits des motorisierten Individualverkehrs verbessert wird, sinken die Emissionen vor Ort und steigt die Umweltqualität. Ähnliches gilt beispielsweise für die Etablierung einer effizienten, auf regenerativen Energien aufbauenden kommunalen Wärmeplanung.
Alternative Optionen zur Gemeinschaftsaufgabe?
#stadtvonmorgen: Warum hat sich Ihre Untersuchung auf die beiden Finanzierungsvarianten „Gemeinschaftsaufgabe“ und „Umsatzsteuerumverteilung“ fokussiert? Sind nicht auch andere Finanzierungsformate denkbar? Was spricht gegen sie?
Carsten Kühl: Wir haben uns darauf fokussiert, weil das der Auftraggeber – die Klima-Allianz – uns so vorgegeben hat. Aber ich will Ihrer Frage nicht ausweichen. Die Zuweisung freier Mittel – wie zum Beispiel bei der Umsatzsteuerverteilung oder der Einkommensteuerverteilung – müsste man mit einer Vielzahl von Regulierungen versehen, um annähernd effiziente Ergebnisse wie bei der Gemeinschaftsaufgabe zu erzielen. Die Einführung einer Pflichtaufgabe „Kommunaler Klimaschutz“ hört sich so an als würde man dem Klimaschutz einen besonderen Stellenwert beimessen. Die Finanzierungsfrage für die Kommunen wäre damit aber nicht gelöst, und die Finanzierung in Anlehnung an das Konnexitätsprinzip dürfte bei den Kommunen nach den Erfahrungen an anderer Stelle – Stichwort Sozialausgaben – keine große Sehnsucht auslösen. Bleibt das, was wir haben. Eine Vielzahl von einzelnen Programmen mit detaillierten bürokratischen Genehmigungsverfahren. Da würde ich in Anlehnung an den alten Lichtenberg sagen: Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber ich weiß, dass es anders werden muss, damit es besser wird.
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.

