„Ein ganz klein bisschen nervös, aber ich fühle mich fantastisch“, sagt Jutta Steinruck vorsichtig lächelnd in die Kamera. Überlieferte Mitschnitte von ihrem Amtsantritt als Oberbürgermeisterin der Stadt Ludwigshafen nach dem Neujahrstag 2018 zeigen das Bild einer Frau, die voller Optimismus und Neugier der Zukunft entgegensieht. Vielleicht noch etwas wacklig betritt sie neues Terrain, aber ungebremst, mutig und mit großer Tatkraft geht sie voraus. Steinruck möchte gestalten. Heute, 2024, ist der Zauber dieses Anfangs verflogen. Am Dienstag tat Steinruck kund, nicht für eine zweite Amtszeit zu kandidieren. 2025 sind Wahlen. Ihre persönliche Erklärung, mit der sie ihren Rückzug begründet, stellt der Verfasstheit des Staates und seiner Kommunen ein alarmierendes Zeugnis aus. Mit Blick auf die Bewältigung der anstehenden Transformationsaufgaben ist das Statement ein Weckruf.
Kommunen brauchen mehr Gestaltungsspielraum
„In diesen herausfordernden Zeiten, die von einem großen Transformations- und Handlungsdruck sowie einem erschreckenden Ausbreiten antidemokratischer Kräfte geprägt sind, bedarf es einer zugewandten und gestaltenden Politik, die im Dialog mit der Bürgerschaft entsteht“, schreibt Steinruck. Ein „echter und ehrlicher Schulterschluss zwischen Kommunen, Land und Bund“ sei unabdingbar. Demgegenüber stünden „Zuständigkeitsgerangel, technokratische Spardiktate und bürokratische Verfahren, die uns jeden Gestaltungsspielraum nehmen“.
Kommunen bräuchten „angesichts der großen sozialen, ökologischen, infrastrukturellen und industriellen Transformationen und Aufgaben unserer Zeit mehr denn je Gestaltungsspielraum“, unterstreicht Steinruck. Grundlage dafür seien „eine nachhaltig faire und unseren Aufgaben angemessene Finanzausstattung sowie eine teilweise Entbürokratisierung administrativen Handelns“. Kommunen müssten in der Lage sein, pragmatisch und flexibel lokale Probleme zu lösen. „Ich muss leider sagen, dass ich diesen Gestaltungsspielraum auf kommunaler Ebene immer mehr verschwinden sehe.“
Entlastung der Kommunen: Es fehlt „ernsthafter Wille“
Die Kommunalpolitik und die lokalen Verwaltungen seien diejenigen, die die politischen Entscheidungen der Landes-, Bundes- und europäischen Ebene vermitteln. „Was irgendwo abstrakt geregelt wird, ist bei uns die entscheidende Frage von gelingender Alltagsbewältigung und Daseinsfürsorge“, erklärt Steinruck. Aber: In vielen wichtigen Entscheidungen seien kommunale Belange nicht adäquat abgebildet. Die für die Erledigung übertragener Aufgaben notwendigen Ressourcen seien oft nicht ausreichend vorhanden. Regulierungswust und Bürokratie kosteten zudem Kraft.
Vor allem die Stadt Ludwigshafen hat ein strukturelles Finanzproblem: Mit der BASF ist sie eine exponierte Industriestadt, ächzt aber gleichzeitig unter hohen Soziallasten und einem finanziellen Defizit. Bestrebungen des Landes Rheinland-Pfalz, seine hochverschuldeten Kommunen zu entlasten und den dortigen Finanzausgleich neu auszurichten, begrüßt Steinruck, hält sie jedoch für „nicht ausreichend und auch nicht zukunftsfest“. Denn das Kernproblem bestehe weiterhin: „Fortwährend werden neue Aufgaben ohne Kostendeckung an uns Kommunen übertragen. Das entlarvt auch, dass der ernsthafte Wille zur Verbesserung der kommunalen Haushalte gar nicht ehrlich vorhanden ist.“
Jutta Steinruck zeigt strukturelles Problem auf
Die Oberbürgermeisterin adressiert auch den Bund insbesondere hinsichtlich einer oft in Aussicht gestellten Altschuldenlösung. Hier gehe es nicht voran. „Zudem brauchen wir nachhaltige und damit strukturelle und strategische Lösungen, die mindestens auf Bundesebene verhandelt werden müssen“, fordert Steinruck hinsichtlich großer industrie- und wirtschaftspolitischer Transformationsprozesse, die mit dem Streben nach Klimaneutralität verbunden sind. Vor allem für Industriestädte wie Ludwigshafen sei „spürbare Unterstützung notwendig“, unterstreicht Steinruck. Es brauche den Schulterschluss von Stadt, Land und Bund.
„Uns brechen einerseits Millionenbeträge an Einnahmen weg, weil die Industrie im Umbau begriffen ist. Das können wir nicht dadurch auffangen, indem wir die Gebühren für die Bibliothek oder den Eintrittspreis fürs Schwimmbad anheben. Das ist so absurd, dass es jedem einleuchten sollte“, kritisiert Steinruck die finanziellen Rahmenbedingungen für Städte wie Ludwigshafen. Dabei weitet sie den Blick und zeigt ein strukturelles Problem auf. Die Oberbürgermeisterin erinnert an ähnlich lautende, eindringliche Appelle der kommunalen Spitzenverbände hinsichtlich der Schieflage kommunaler Kassen. „Wenn ich heute auf eine erneute Kandidatur verzichte, dann möchte ich hinter diesen Hilferuf noch ein dickes Ausrufezeichen setzen.“
Jutta Steinruck: „Ich will diese Stadt nicht kaputtsparen“
Gleichwohl weist Steinruck in ihrem Statement auch darauf hin, wie Kommunen trotz schwerer Rahmenbedingungen in die Zukunft schreiten. In Ludwigshafen liefen große städtebauliche Projekte und Infrastrukturvorhaben, die der Stadt und ihren Bewohnern neue Perspektiven öffnen. In den verbleibendenden knapp anderthalb Jahren ihrer Amtszeit wolle sie diese weiter voranbringen. „Ich bin leidenschaftlich gern Oberbürgermeisterin meiner Heimatstadt.“ Doch die Hürden seien hoch und kräftezehrend. „Ich bin angetreten, um Dinge in Bewegung zu bringen und zu verändern“, schreibt Steinruck. „Ich kann und will diese Stadt nicht kaputtsparen – wozu ich aber letztendlich gezwungen würde, wenn wir zu keinen strukturellen und nachhaltigen Veränderungen bei der Finanzausstattung unserer Kommunen und letztendlich einem Umsteuern kommen.“
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.