An der Seele der Stadt

Wenn am Sonntagabend im „Tatort“-Krimiprogramm der ARD Hauptkommissar Frank Thiel (verkörpert von Axel Prahl) und Professor Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) ermitteln, dann tun sie das in den Straßen und Gassen von Münster. Zwar sind nicht einmal alle Szenen der Krimiplots tatsächlich in der Stadt gedreht, dennoch vermitteln entsprechende Außenaufnahmen den TV-Zuschauern in den meisten Folgen das urbane Flair der Stadt. Thiel und Boerne sind ein Münsteraner Thema: Wer an die Stadt denkt, hat oft auch deren Bild im Kopf, und umgekehrt. Sie gehören zu Münster wie der traditionsreiche Fußballklub Schalke 04 zu Gelsenkirchen oder das Automobil zum durch den VW-Konzern geprägten Wolfsburg.Die Menschen mit der Stadt verbindenWas über eine Stadt erzählt wird und wie es erzählt wird, bestimmt ihr Image, sagt Bernadette Spinnen, die Vorsitzende der Bundesvereinigung City- und Stadtmarketing Deutschland (bcsd). Über Themen und Anlässe kommen die Menschen emotional zusammen – und stehen diese in Verbindung mit einer Stadt, tragen sie zur urbanen Identität bei. Das können positive Erlebnisse sein – wie der Besuch eines Stadtfests, die Rezeption eines TV-Krimis oder die Liebe zu einem Fußballklub. Es können aber auch Erschütterungen und Trauer sein, die das kollektive Verständnis einer Stadt bestimmen, wie beispielsweise die sogenannte „Todesfahrt von Mannheim“, bei der jüngst im März ein Auto in eine Fußgängerzone raste und Menschen in den Tod riss, oder der „Anschlag von Hanau“, bei dem 2020 ein Mann neun Menschen mit Migrationshintergrund aus rassistischem Motiv tötete.Die Beispiele zeigen: Wie eine Stadt wahrgenommen wird, ist nicht statisch, sondern unterliegt einer gewissen Dynamik. „Wie die Menschen über ihre Stadt sprechen, prägt ihren Markenkern“, sagt Spinnen. Bis zu einem gewissen Grad könne eine Stadt ihr Image gestalten, indem sie Gesprächsanlässe schafft, eigene Themen platziert, Events veranstaltet oder Öffentlichkeitsarbeit betreibt. Aber: „Keine Stadt schafft es, eine Erzählung gegen ihre Bürger aufzubauen.“ Das Bild einer Stadt wird bestimmt durch diejenigen, die in ihr leben. „Aufgabe im Stadtmarketing ist es also, Themen zu finden, an denen die Menschen dran sind“, erklärt Spinnen, und diese Themen weiterzuentwickeln, zu verstärken. „Insofern arbeitet das Stadtmarketing nah an der Seele einer Stadt. Stadtmarketing bedeutet, wir verbinden die Menschen mit der Stadt.“Stadtmarketing zwischen den urbanen SphärenSpinnen, die neben ihrer Rolle als Bundesvorsitzende vor Ort das Stadtmarketing in Münster leitet, sieht das Stadtmarketing und seine Aufgaben im Wandel. Sei es ursprünglich vielerorts aus dem Bestreben hervorgegangen, das städtische Gewerbe, den Einzelhandel und die Gastronomie zu fördern und in deren Sinne Imagebildung zu betreiben, sei es heute ein kommunikatives Instrument der Stadtentwicklung in vielen thematischen Dimensionen. Es handele als Moderator und Mediator zwischen den Sphären der Stadtgesellschaft oder, wie Spinnen es sagt, „zwischen den verschiedenen Welten, zwischen den Biotopen“. Dabei begleite es wichtige Entwicklungsprozesse oder Transformationen, trage zur demokratischen Willensbildung bei und ermögliche Teilhabe an Stadt.Spinnen gibt konkrete Beispiele. In der Phase der Coronakrise und den mit ihr verbundenen Lockdowns seien es oft lokale Einheiten des Stadtmarketings gewesen, die das gesellschaftliche Leben aufrechterhielten, beispielsweise durch Aktionen mit örtlichen Händlern, mithilfe neuer Verkaufsplattformen oder digitalen Musik- und Kunstevents. Die Zusammenarbeit mit der Stadtbevölkerung sei ein wichtiger Teil des Stadtmarketings.Stadtmarketing moderiert im TransformationsprozessDas gelte auch bei wegweisenden Zukunftsthemen wie dem Klimaschutz. So hat etwa Münster im Zusammenhang mit einem europäischen Klimaschutzprogramm einen sogenannten Klimastadtvertrag erarbeitet, der die gesamte Stadtgesellschaft – von der studentischen Klimainitiative bis hin zum Vorstand eines großen ansässigen Chemiekonzerns – auf das Ziel der Klimaneutralität einschwören soll. „Das geht nur, wenn alle mitziehen“, erklärt Spinnen. Als Verbindungsglied könne das Stadtmarketing seine lokalen Netzwerke einbringen und als eine Art „Agentur, die den Stadtdiskurs auch über kontroverse Fragestellungen organisiert“, fungieren.Ähnlich bei der Quartiersentwicklung: Nicht zuletzt dort, wo es um tiefgreifende Transformationsprozesse wie Baumaßnahmen geht, brauche es eine moderierende Instanz, um Projekte erfolgreich umsetzen zu können. Es müsse darum gehen, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, Fragen zu beantworten, Vorhaben und mögliche Belastungen zu erklären sowie andererseits Anliegen, Ideen und Befürchtungen einzufangen. „Das Stadtmarketing unterstützt solche Prozesse“, erklärt Spinnen. „Es ist der Hingucker und Zuhörer im Quartier, kann Potentiale erkennen, Kräfte zusammenführen und Probleme lösen, bevor sie entstehen.“Die Identität einer Stadt gestaltenAuf diese Weise sei es ein Instrument, um Transformationsprojekten zu Akzeptanz zu verhelfen, sozialen Zusammenhalt zu fördern, bürgerschaftliches Engagement zu stimulieren und demokratische Teilhabe zu ermöglichen. „So macht es das Gemeinwesen stark“, sagt Spinnen. Das wiederum präge die Erzählungen der Menschen und das Bild einer Stadt. „Wenn Menschen das Gefühl haben, Teil der Stadt zu sein und sich zu ihr bekennen, prägt das ihre Identität – die der Menschen und die der Stadt“, erklärt Spinnen. Oder anderes formuliert: „Stadtmarketing bedeutet, wir verbinden die Menschen mit der Stadt.“

An der Seele der Stadt

Weitere Artikel

Zuzug auf Probe: Stadtentwicklung zum Mitmachen

Kurze Wege, große Wirkung

Aktuelle Ausgabe

Digitalisierung als Lebenselixier [05|2025]

Weitere Inhalte zum Thema

Eine Symbiose von Stadt und Natur

„Tragfähige Strukturen“ für die Innenstadt

Stadtmarketing und Verkehrswende

News

E-Magazin

Events

Research

Ihr Nutzerkonto

Über uns

Partner

Mediadaten

FAQ

Kontakt

An der Seele der Stadt

Weitere Inhalte zum Thema

Ihr Feedback an #stadtvonmorgen