Den Bürgern Geld geben

Der Impuls zum Bürgerbudget kam von unten: Als die Jenaer Bürger mit dem bisherigen Bürgerhaushalt unzufrieden waren, forderten sie ein echtes Bürgerbudget. Seit 2019 können sie nun selbst entscheiden, wofür ihre Stadt Geld ausgibt.Die Entstehungsgeschichte des Bürgerbudgets in Jena zeigt, wie ernst die Stadt Bürgerwünsche nimmt. Von 2008 bis 2017 gab es bereits einen Bürgerhaushalt. Eine Arbeitsgemeinschaft aus Verwaltung und Ernst-Abbe-Hochschule führte dafür schriftliche Befragungen durch und übergab die Ergebnisse an den Stadtrat. Doch deren Einfluss auf den tatsächlichen Haushalt blieb gering. Das führte zu Kritik.„Impuls für ein Bürgerbudget kam aus der Bürgerschaft“„Der Impuls für ein Bürgerbudget kam aus der Bürgerschaft heraus“, erklärt Kai Ostermann, der in der Stadtverwaltung für die Koordination des Bürgerbudgets zuständig ist. Die Bürger der thüringischen Großstadt wurden also abermals befragt und brachten dabei ihren Wunsch nach direkter Entscheidungsgewalt über die Finanzierung konkreter Projekte zum Ausdruck. Seit 2018 gibt es eine zentrale Koordinierungsstelle für Bürgerbeteiligung, 2019 gab es dann das erste Mal ein Bürgerbudget.Aktuell stehen darin 50.000 Euro zur Verfügung – weniger als die 100.000 Euro, die es im letzten Jahr noch gab. Grund für die Reduzierung der Mittel ist die angespannte Haushaltslage der Stadt. Wie der Großteil der deutschen Kommunen steht Jena vor immensen finanzpolitischen Herausforderungen. „Bedauerlich“ nennt Ostermann die Kürzung, aber „aus gesamtstädtischer Perspektive muss es auch schmerzhafte Entscheidungen geben“. Bereits von 2019 bis 2020 reduzierte sich das Budget aufgrund einer Haushaltsnotlage auf 25.000 Euro. Trotzdem empfindet Ostermann das Budget als „eine gute Maßnahme“.Ein eingespielter VergabeprozessDer Jenaer Prozess zur Vergabe des Budgets für die Einwohner gliedert sich in vier klar strukturierte Phasen. Acht Wochen haben die Jenaer Zeit, formlos Vorschläge über eine Beteiligungsplattform einzureichen. Alternativ sind auch E-Mail oder schriftliche Eingaben möglich. Das Einreichen soll so unkompliziert wie möglich sein, damit alle Jenaer sich beteiligen können. Danach untersucht die Stadtverwaltung die Vorschläge auf Umsetzbarkeit. Ostermann tauscht sich dabei mit den Fachabteilungen aus, um die Vorschläge auf Vorschrifts- und Gesetzeskonformität zu überprüfen. Ist eine Durchführung nicht möglich, gibt es Rücksprache mit den Einsendern, denn mit Einschränkungen oder Veränderungen können Projekte oft trotzdem realisiert werden.Danach geht es in die Abstimmung. Alle Bürger ab 16 Jahren können sechs Wochen lang daran teilnehmen, sowohl online als auch mit analogen Stimmzetteln. In den Stadtteilzentren gibt es Wahllokale. Jeder hat fünf Stimmen zu vergeben, „kumuliert oder wie auch immer“. Letztlich geht es für die Stadtverwaltung in die Budgetplanung. Das im Vorjahr eventuell übriggebliebene Geld wird ins neue Jahr übertragen, für die Projektumsetzung gibt es in der Regel zwei Jahre Zeit – „im Einzelfall auch mal länger“, erklärt Ostermann.Die Rahmenbedingungen sind präzise definiert: Die Stadt muss zuständig sein, Verkehrsregelungen fallen beispielsweise heraus. Projekte dürfen maximal 10.000 Euro kosten, Betriebskosten sind ausgeschlossen, ebenso unbefristete Miet- und Dienstleistungen oder Personalkosten. Honorarkosten und kurzfristige Mieten sind hingegen möglich. Entscheidend ist der „Dienst an der Allgemeinheit“ – Projekte müssen allen zugänglich sein, nicht nur bestimmten Gruppen wie Kindergärten. Eine anderweitige Förderung schließt Projekte aus, Co-Finanzierung ist jedoch möglich. „Niemand darf ausgeschlossen werden“, so die Grundregel.Die Beteiligung wächst – langsam, aber stetigSeit der Einführung hat sich in Jena bereits einiges getan. Das Konzept wird immer mehr von den Einwohnern wahrgenommen. 2019 gab es noch nicht genug gültige Vorschläge für eine Abstimmung, berichtet Ostermann. Im vergangenen Jahr waren es bereits 86 gültige Projektideen. „Es wächst mehr und mehr in der Wahrnehmung der Menschen“, beobachtet Ostermann. Bei der entscheidenden Abstimmung beteiligen sich bisher ein bis zwei Prozent der Wahlberechtigten – Raum für Wachstum ist also noch vorhanden. Daran arbeitet die Stadt nach eigener Aussage.Hinter dem Bürgerbudget steckt mittlerweile ein eingespielter Prozess. Die Verwaltung hat aus den ersten Jahren gelernt und den Ablauf optimiert. Agilität bei der Umsetzung ist besonders entscheidend. Ursprünglich war beispielsweise nur ein Monat für die Prüfung der eingereichten Vorschläge vorgesehen – zu wenig, um alle Fachabteilungen zusammenzubringen und Projekte fundiert bezüglich ihrer Umsetzbarkeit zu beurteilen. Die Verlängerung auf zwei Monate habe sich dementsprechend bewährt. „Man stellt sich in den Fachabteilungen darauf ein“, sagt Ostermann, „und wird zunehmend besser.“ Info Haushalte mit Bürgerbeteiligung An der Stadtentwicklung aktiv mitwirken können Bürger nicht nur durch Bürgerbudgets wie in Jena, sondern auch durch sogenannte Beteiligungshaushalte. Das badische Freiburg betrachtet seinen Beteiligungshaushalt als „Schnittstelle zwischen Bürgerschaft, Stadtverwaltung und Gemeinderat.“ Erklärtes Ziel ist es, den Gemeinderatsmitgliedern Einblick darin zu verschaffen, was die Freiburger beschäftigt. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie beim Bürgerbudget: Die Einwohner können Vorschläge einreichen, die dann an den Gemeinderat übermittelt und umfassend geprüft werden. Allerdings müssen die Gemeinderatsfraktionen Änderungsanträge stellen, damit die Vorschläge tatsächlich Einfluss auf den Haushalt nehmen. Eine Garantie für die Umsetzung gibt es vorher trotz Abstimmung nicht. Beteiligen können sich die Bürger in Freiburg sowohl an der Planung von Ausgaben als auch an der von Sparmaßnahmen und Einnahmen. Die meisten Ideen für den derzeitigen Haushalt gab es in den Bereichen Verkehr, Soziales und Umwelt. In Freiburg will man nach eigenen Angaben besonderes Augenmerk auf Jugendbeteiligung legen. Das Jugendbüro versucht im Rahmen des Projekts „Jugend im Haushalt“ gezielt, jungen Menschen den kommunalen Haushalt näher zu bringen. Im Zusammenhang mit diesem Projekt zeigte sich, dass den Jugendlichen die Themen „weniger Müll in der Stadt“, „mehr Solaranlagen“, „mehr Sporträume“, „mehr Sicherheit“ sowie „mehr Freizeitangebote“ besonders wichtig sind. Neben Freiburg nutzen noch andere Städte die Möglichkeit eines Beteiligungshaushalts, um die Bevölkerung in Stadtplanungsprozesse einzubeziehen. Darunter die Bundesstadt Bonn, Stuttgart, Darmstadt, Leipzig, Lahr im Schwarzwald und Luckenwalde.

Den Bürgern Geld geben

#svm Nutzerkonto

Weitere Artikel

Vom weißen Fleck zur Glasfaser-Hochburg

Schwerin setzt auf positive Flächenbilanz

Aktuelle Ausgabe

Die digitale Verwaltung [03|2025]

Weitere Inhalte zum Thema

Ein digitales Ökosystem für Bürgerbeteiligung

Eva Weber: „Die Städte stehen an einem Wendepunkt“

Mutmacher für die Kommune von morgen

News

E-Magazin

Events

Research

Ihr Nutzerkonto

Über uns

Partner

Mediadaten

FAQ

Kontakt

Den Bürgern Geld geben

#svm Nutzerkonto

Weitere Inhalte zum Thema

Ihr Feedback an #stadtvonmorgen