Fairness nicht nur im Stadion

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Draußen wummern die Beats, und die Fußballfans taumeln zur modernen Diskoversion des Eurodance-Hits „Blue“ dem Halbfinalspiel Niederlande gegen England entgegen. Hier, auf der Fanzone am Mainufer der EM-Gastgeberstadt Frankfurt, wird am Abend die Partie der Fußballeuropameisterschaft live auf einer großen Leinwand übertragen. Drinnen, in einem unmittelbar an das Fanfest angrenzenden Bürogebäude, geht es ebenfalls um Fußball. Aber weniger um das heutige Spiel und um Fairness auf dem Rasen als vielmehr um Grundsätzliches und um Fairness in Lieferketten.

„FairKickt“-Programm richtet Fokus auf Fairtrade

Wie ernst es die Veranstalter mit Nachhaltigkeit meinen, zeigt sich an der wahrlich nachhaltig produzierten Bühnenausstattung. Denn bei den mannhohen Bannern mit dem Veranstaltungsmotto „FairKickt“ handelt es sich nicht etwa um Neuproduktionen, sondern schlicht um alte, mit dem „FairKickt“-Logo übersprühte und somit pragmatisch recycelte Rollups.

Der Diskussionsabend ist Teil des Nachhaltigkeitsprogramms, das die Stadt als Host City im Kontext der EM organisiert. Eingeladen hat die städtische Koordinierungsstelle Fairtrade. Der Titel lautet: „Nachhaltigkeit bei Eintracht Frankfurt und im Amateursport: Chancen, Herausforderungen und Perspektiven“.

Sport und Nachhaltigkeit im urbanen Kontext

Nachhaltigkeitsdiskussion vor recycelten Rollup-Bannern: Roland Frischkorn (links) und Mike Josef. (Quelle: Andreas Erb)
Nachhaltigkeitsdiskussion vor recycelten Rollup-Bannern: Roland Frischkorn (links) und Mike Josef. (Quelle: Andreas Erb)

Unter den Podiumsteilnehmern ist der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef. „Wenn wir über die Resilienz der Städte sprechen, müssen alle Rädchen ineinandergreifen“, sagt er auf Nachfrage von #stadtvonmorgen an dem Abend. Die Sphäre des Sports sei ein wichtiger Teil der Stadtgesellschaft, und die Sportstättenentwicklung sei in der Stadtplanung ein wichtiges Infrastrukturthema. Gerade die Ausrichtung eines Großereignisses wie der Europameisterschaft zeige zum einen, welche Bedeutung der Sport im urbanen Kontext habe, und zum anderen, wie eng Sport und Nachhaltigkeit zusammenhingen, meint Josef.

Schließlich haben sich die Organisatoren der EM 2024 – die großen Fußballverbände und mit ihnen die Gastgeberstädte – auf die Fahne geschrieben, das Fußballereignis zum internationalen Referenzpunkt für die nachhaltige Ausrichtung eines Sportevents zu machen. Das Frankfurter Programm „FairKickt“ ist Teil des städtischen Nachhaltigkeitskonzepts zur EM. Es will im Umfeld der EM-Spiele Bildungsarbeit leisten und für eine nachhaltige Lebens- und Wirtschaftsweise werben. Laut städtischer Fairtrade-Koordinatorin Daniela Cappelluti kamen über 1.200 Menschen, vorwiegend jugendliche Schüler, im Veranstaltungszeitraum ins Bildungscamp nahe der Fanzone. Dazu gab es Abendveranstaltungen zu Nachhaltigkeitsthemen wie die Podiumsdiskussion vor dem Halbfinalspiel.

Frankfurt engagiert sich als „Fairtrade Town“

Jene Diskussionsrunde dreht sich vorwiegend um die Produktion von Sportutensilien – Bällen, Trikots oder Trainingsmaterialien. Benjamin Zeise von der Organisation „Sport handelt fair“ und Bettina Faust vom Projekt „Fair Wear Works“ der Umweltstiftung Global Nature Fund machen auf Defizite in Lieferketten, was die Einhaltung von Menschenrechten, fairen Arbeitsbedingungen und Umweltstandards angeht, aufmerksam. Den Bogen zum hiesigen Handel von Fußballprodukten in Fanshops spannen Lara Schröder von der gemeinnützigen Nachhaltigkeitsunternehmung Cum Ratione und Martin Schittko, beim Fußballbundesligaverein Eintracht Frankfurt fürs Merchandising zuständig. Wie Nachhaltigkeit auf der Ebene des Amateursports funktionieren kann – vom schonenden Umgang mit der Ressource Wasser über Kreislaufwirtschaft samt Trikotrecycling bis hin zur sozialen Inklusion –, beschreiben Lea Wippermann vom Sportverein Vorwärts Spoho 98 aus Köln sowie der Frankfurter Sportkreisvorsitzende Roland Frischkorn.

Diskutieren über Nachhaltigkeit im Sport: Roland Frischkorn, Mike Josef, Lea Wippermann und Daniela Cappelluti (von links). (Quelle: Andreas Erb)
Diskutieren über Nachhaltigkeit und Fairtrade im Sport: Roland Frischkorn, Mike Josef, Lea Wippermann und Daniela Cappelluti (von links). (Quelle: Andreas Erb)

Die Stadt Frankfurt am Main selbst hat sich seit 2011 dem Fairtrade-Gedanken verschrieben. Seitdem ist sie eine vom Verein Fairtrade Deutschland zertifizierte „Fairtrade Town“. Davon gibt es ausweislich der Vereinswebseite derzeit 885. Damit verpflichtet sich Frankfurt, auf lokaler Ebene für fairen Handel einzutreten. Dies betrifft etwa die eigene Beschaffung oder Finanzanlagen. Zudem unterstützt die Stadt zivilgesellschaftliche Initiativen und leistet Bildungsarbeit – wie das Programm „FairKickt“ zur EM.

Urbane Transformation und Sportstätteninfrastruktur

„Nachhaltigkeit betrifft alle Bereiche der Stadt“, sagt Josef am Abend in der Diskussionsrunde. Gerade im Sport fänden die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – die soziale, die ökonomische und die ökologische – ihre Ausprägung. Unter dem sozialen Aspekt trage der Sport zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und Integration bei. Unter dem ökonomischen Blickwinkel weist Josef etwa auf das Wirtschaften von Sportorganisationen sowie Investitionen in die Breitensportinfrastruktur hin. Darüber hinaus gewinne der ökologische Aspekt angesichts des Klimawandels und nicht zuletzt hinsichtlich steigender Energiepreise aus Kostengründen zunehmend an Bedeutung für die Akteure des Sports.

In diesem Sinne spiegele sich die urbane Transformation in der Sportstätteninfrastruktur wider. Die Stadt Frankfurt richte die unter ihrer Regie stehenden Sportstätten nachhaltig aus. Zu den diesbezüglichen Maßnahmen gehören laut Josef unter anderem die Umrüstung auf energieeffiziente LED-Beleuchtung, die Ausstattung von Dächern mit Photovoltaik oder – wie das Beispiel eines lokalen Hallenbads zeigt – die möglichst energieautarke Gebäudekonzeption.

Klimaanpassung ein Thema der Sportstättenplanung

Darüber hinaus gelte es, Aspekte der Klimaanpassung gerade im Bereich der Sportstättenplanung zu berücksichtigen, sagt Josef. Der Oberbürgermeister erinnert an ein jüngeres Starkregenereignis, das sich auch massiv auf städtische Sporthallen ausgewirkt habe. Und als wäre es eine Mahnung, bricht am Ende der Diskussionsrunde kurz vor dem Anpfiff des EM-Halbfinalspiels der Himmel auf, und ein Regenschauer ergießt sich über die feiernden Fußballfans.

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.