Ist das Alter der Stadt ihre Bürde oder ihre Chance?

Die Stadt Trier gilt mit ihrer über 2.000-jährigen Geschichte als älteste Stadt Deutschlands. Ihre römischen und mittelalterlichen Kulturdenkmäler sind als UNESCO-Welterbe geschützt. Gleichzeitig ist sie zukunftsgewandt und setzt auf urbane Transformation, um 2045 klimaneutral zu werden. Doch wie gehen das Alter und das Bewahren des historischen Erbes mit dem Wandel und dem Stadtumbau zusammen? Darüber spricht Oberbürgermeister Wolfram Leibe mit #stadtvonmorgen.Die Daseinsvorsorge in kommunaler HandWolfram Leibe (Quelle: Stadt Trier)#stadtvonmorgen: Herr Leibe, die Dichte herausragender Zeugnisse römischer Zivilisation ist in Trier hoch und ein besonderes Charakteristikum. Was bedeutet das für die Stadt: Welches Zukunftspotential leitet sich aus der Vergangenheit ab?Wolfram Leibe: Das große historische Erbe ist für die Stadt ein wichtiges Wesensmerkmal, das sie stolz macht. Doch wenn wir über die Zukunft sprechen, helfen 2.000 Jahre Geschichte allein nur bedingt weiter: Es gilt, sie mit Innovation zu verbinden. Schließlich sind wir kein Museum, sondern eine Stadt und als solche ständig im Wandel. Ich denke etwa daran, dass wir schon bald rechnerisch dazu in der Lage sind, alle Privathaushalte der Stadt mit regenerativer Energie zu versorgen. Zudem haben wir vor wenigen Monaten die Trinkwasserversorgung rekommunalisiert. Dafür haben die Stadtwerke eine neue Tochter, die SWT Wasser GmbH, gegründet und so die Trinkwassersparte aus der SWT Versorgungs-GmbH, an der private Anteilseigner beteiligt sind, herausgelöst. So liegt die Entscheidungshoheit über das wichtigste Lebensmittel wieder komplett in kommunaler Hand. Für die Zukunftsausrichtung der Stadt ist auch die Gründung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft 2020 wegweisend. Nachdem die Stadt in der Vergangenheit den Wohnungsmarkt eher der Privatwirtschaft überlassen hat, zeigt sich jedoch, dass eine gemeinwohlorientierte Wohnungsmarktpolitik und eine damit verbundene Sozialpolitik größere diesbezügliche Handlungsmöglichkeiten erfordert. Diese lassen sich mit der neuen Gesellschaft erschließen.#stadtvonmorgen: Städte stehen vor tiefgreifenden Transformationsaufgaben. Wenn sie an Stadtumbau denken: Wo sehen Sie für Trier die größten Zukunftsaufgaben? Welches sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Arbeitsfelder?Wolfram Leibe: Den Städten stellen die Energie- und Wärmewende, die Verkehrswende sowie das Streben nach Klimaneutralität große Transformationsaufgaben. Auch die Schaffung bezahlbaren Wohnraums gewinnt für die Daseinsvorsorge immer mehr an Bedeutung. All diese Sphären bedingen sich gegenseitig und haben viele Facetten. Als diesbezügliche Nebenaspekte spielen beispielsweise Bildung, Ausbildung und Qualifizierung von Menschen ohne Arbeit als soziale Faktoren wichtige Rollen. Trier bündelt verschiedenste Bildungseinrichtungen, darunter vier Hochschulen.Dom St. Peter in Trier (Quelle: Stadt Trier/Trier Tourismus und Marketing GmbH)Keine Photovoltaik auf die Porta Nigra#stadtvonmorgen: Nehmen Sie das Alter der Stadt, das Bewahren, die Kontinuität auf der einen Seite, nehmen Sie die Zukunftsaufgaben, die urbane Transformation und den Wandel auf der anderen Seite: Wie geht beides zusammen? Ist das Alter der Stadt ihre Bürde oder ihre Chance?Wolfram Leibe: Beides. Hier gibt es kein Schwarz und Weiß. Es gilt, die lokalen Voraussetzungen zu kennen und vor Ort differenziert zu entscheiden, wo wir Konservatives mit Innovation verbinden können. Die Diskussion zeigt sich beispielsweise am Viehmarktplatz und den Viehmarktthermen, die 1998 mit einem modernen Gebäude des Architekten Oswald Mathias Ungers überbaut wurden. Warum kann das neue Gebäude über den historischen Resten nicht Photovoltaikanteile haben? Das würde die historische Substanz des Bauwerks darunter, also der Thermen, nicht stören. Diesen Vorschlag möchte ich dem Land, das für das Gebäude verantwortlich ist, unterbreiten. Es wäre ein wunderbares Signal, technisch Mögliches, Klimaschutz, Architektur und Historie miteinander in Einklang zu bringen. Grundsätzlich bauen wir dort, wo wir Verantwortung tragen, Photovoltaik aus. Nach einer Gesetzesänderung in Rheinland-Pfalz geht dies nun – vom Welterbe abgesehen – im Bereich des Denkmalschutzes auch einfacher, wozu wir private Eigentümer animieren. Aber eins ist klar: Die Porta Nigra, die im Übrigen ebenfalls dem Land Rheinland-Pfalz gehört, werden wir wohl nicht mit Photovoltaik ausstatten.Kaiserthermen in Trier (Quelle: Stadt Trier/Christian Millen/Trier Tourismus und MarketingGmbH)Urbane Transformation: Aufgabe für alle#stadtvonmorgen: Trier will 2045 klimaneutral sein. Welches sind grundsätzlich die wichtigen Hebel dafür?Wolfram Leibe: Trier ist kein Industriestandort. Das Profil des Wirtschaftsstandorts zeichnet sich durch viele mittelständische Unternehmen aus. Daher gibt es nicht den großen Hebel im Sinne eines die lokalen Emissionen bestimmenden Konzerns, sondern vielmehr eine Vielfalt kleinerer Betriebe und die Breite der Stadtgesellschaft. Umso wichtiger ist es, Private zu überzeugen, Investitionen in Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu tätigen. Es ist ein Irrtum zu glauben, die Stadt könne die Klimaneutralität komplett allein umsetzen und alles bezahlen. Diese Rechnung kann nicht aufgehen. Unsere Bürger und mittelständischen Betriebe sind genauso gefragt. Gleichwohl unternehmen wir große Anstrengungen, die Rahmenbedingungen dafür zu gestalten. Ich denke an ein ökologisches Gewerbegebiet, das wir derzeit stadtnah entwickeln. Hier schaffen wir etwa die Möglichkeiten, Nahwärme aus Abwasser zu gewinnen oder das neue Areal mit der bestehenden ÖPNV-Infrastruktur zu verzahnen. Zudem hat der Stadtrat eine Förderung für kleine private Solaranlagen beschlossen – die sogenannten Balkonkraftwerke. Das zeigt: Kleine und große Maßnahmen, öffentliche und private gehen Hand in Hand.#stadtvonmorgen: Das Gewerbegebiet zeigt als Beispiel für urbane Transformation, wie Quartiersentwicklung, Mobilität, Wärme- und Energieinfrastruktur zusammenwirken.Wolfram Leibe: Ja. Und es kommen weitere Facetten dazu. Auch für die Attraktivität des neuen Gewerbestandorts zahlen sich die Investitionen in Nachhaltigkeit und Klimaschutz aus. Denn für die sich ansiedelnden Unternehmen kann es ein Prestigegewinn sein, sich in einem solchen, zukunftsträchtigen Umfeld zu verwurzeln und mit begrünten Fassaden oder Photovoltaikanlagen auf Dachflächen die eigene Zukunftsgewandtheit zu demonstrieren. So führt eins zum anderen.Tourismus, Klimaneutralität und urbane TransformationPorta Nigra (Quelle: Stadt Trier/Trier Tourismus und Marketing GmbH)#stadtvonmorgen: Das Welterbe hat eine hohe Anziehungskraft. Dafür kommen jährlich rund fünf Millionen Menschen nach Trier. Welche Rolle spielt das Welterbe beim Streben nach Klimaneutralität? Unternimmt die Stadt spezielle Anstrengungen, den touristisch bedingten CO2-Ausstoß zu reduzieren?Wolfram Leibe: Tatsächlich hat das Welterbe für die Stadt eine immens hohe Bedeutung. Die jährlich rund fünf Millionen Besucher bedeuten 10.000 geführte Touristengruppen mit 200.000 Teilnehmern, 840.000 Übernachtungen und 300 Millionen Euro Umsatz für die örtlichen Händler, Gastronomen und Gewerbetreibenden. Natürlich haben wir in diesem Zusammenhang auch unser Ziel, 2045 die Klimaneutralität zu erreichen, im Blick. Dafür sind die lokalen Bedingungen günstig. Das hängt mit der Kompaktheit der Altstadt und des Welterbes zusammen. Hier gibt es kurze Wege, die sich fußläufig zurücklegen lassen. Zudem engagieren wir uns mit unseren Stadtwerken für den Ausbau der Elektromobilität. Und mit der Trier Card unterbreiten wie ein touristisches Angebot, das die ÖPNV-Nutzung beinhaltet. Was die überregionale Anbindung angeht, sehen wir einer positiven Entwicklung entgegen: Ab 2025 erwarten wir drei zusätzliche Fernverbindungen auf der Strecke Luxemburg–Düsseldorf. Insofern entwickeln wir kontinuierlich die Möglichkeiten, einen CO2-armen Urlaub in Trier zu verbringen, fort. Das betrifft auch den zunehmenden Schiffstourismus auf der Mosel. Hier schaffen wir die Voraussetzungen, dass Anleger Strom der Stadtwerke beziehen müssen und so in der Haltezeit die Dieselmotoren abschalten. Es geht nicht um Verbote, sondern darum, Alternativen zur Verfügung zu stellen.a.erb@stadtvonmorgen.de

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