„Uns es ist wichtig, für einen möglichen Blackoutfall vorbereitet zu sein“, sagt der Oberbürgermeister von Celle, Jörg Nigge. Vor wenigen Tagen traf sich ein Team der Celler Verwaltung zu einem Workshop, um Krisenszenarien zu erörtern. Es ging um den Ernstfall und die Aufrechterhaltung der Daseinsvorsorge, wenn die Versorgungsinfrastruktur für Wasser, Strom, Kraftstoff oder Wärme im Krisenfall nicht mehr intakt ist. Dafür hat die Stadt ein Konzept erarbeitet mit sogenannten Krisenleuchttürmen, also dezentralen Anlaufstellen für die Bevölkerung, und Backupsystemen wie Notstromaggregaten.
Cybersicherheit als Thema der urbanen Resilienz
Was wie ein fernes, apokalyptisches Bild daherkommt, ist ein reales Szenario. Angesichts globaler Krisen und Bedrohungsszenarien wie Naturkatastrophen oder Hackerangriffen rückt die Frage ihrer Resilienz stärker in den Fokus von Kommunen. Dabei ist Risikoprävention an vielen Stellen eine Frage der Cybersicherheit. Denn zunehmend laufen elementare Leistungen der Daseinsvorsorge digital vernetzt ab – von der Strom- über die Wasserversorgung bis hin zum Gesundheitswesen. So können Cyberattacken oder digitale Systemausfälle wichtige Infrastrukturen bedrohen. „Cybersicherheit ist längst eine zentrale Frage der urbanen Resilienz“, erklärt der Jurist Nicolas Sonder, der bei PwC Legal den kommunalen Bereich leitet.
Die Europäische Union hat die Wichtigkeit von Cybersicherheit erkannt und schreibt mit der zweiten Fassung der Richtlinie zur Netzwerk- und Informationssicherheit (NIS2) ihr diesbezügliches Regelwerk fort. Die Richtlinie trat im Januar 2023 in Kraft und ist derzeit in nationales Recht umzumünzen. Davon betroffen können auch Kommunen beziehungsweise deren Eigenbetriebe sowie kommunale Unternehmen, die kritische Infrastrukturen betreiben, sein, erklärt Sonder. „Denn thematisch fügen sich Kommunen querschnittartig in die Sektoren, die die Richtlinie adressiert, ein.“
NIS2-Richtlinie als „Gamechanger für Cybersicherheit“
Ziel der Richtlinie ist es, das Cybersicherheitsniveau in der EU signifikant zu steigern, beschreibt PwC-Expertin Mailin von Knobelsdorff. Sie spricht mit Blick auf NIS2 von einem „Gamechanger für die Cybersicherheit in Europa“. Das neue Reglement zielt sowohl auf private als auch auf öffentliche Unternehmen in sicherheitsrelevanten Sektoren ab. Damit reagiert es auf die wachsende Angriffsgefahr, die etwa von Cyberkriminalität, Industriespionage oder im Kontext globaler Krisen durchaus auch von staatlichen Akteuren ausgeht.
Zu den wichtigen Sektoren, an die sich die NIS2-Richtlinie richtet, zählen – neben anderen – zentrale Bereiche mit hoher Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der kommunalen Daseinsvorsorge, beispielsweise die Energie- und Wasserversorgung, das Gesundheitswesen oder die Siedlungsabfallsammlung. NIS2 will hier die Sicherheit erhöhen und Risiken vorbeugen, indem die Richtlinie für die jeweiligen Infrastrukturbetreiber Standards zur Gefahrenprävention, zur Risikoreduktion und zum Krisenmanagement festlegt. Die Maßnahmen reichen von Dokumentationen über Schulungen, Auditierungen und Handlungskonzepte für den Krisenfall bis hin zu Meldepflichten. Davon können nicht nur die jeweiligen Unternehmen, sondern darüber hinaus auch deren Lieferketten und Dienstleister erfasst sein.
Eine Chance für die Resilienz von Infrastrukturen
„Obwohl NIS2 vor der Tür steht, ist das Bewusstsein dafür in der Breite, gemessen an der Bedeutung der Richtlinie und der Vielfalt der Betroffenheiten, nicht in dem Maße vorhanden“, meint von Knobelsdorff. Um NIS2-compliant zu werden, gelte es, sich vorausschauend mit der Thematik zu befassen. Die betroffenen Akteure müssten die neuen Regeln nicht als belastenden bürokratischen Aufwand, sondern vor allem als Chance, Risikoanalyse zu betreiben und ihre Resilienz zu stärken, begreifen. „Schließlich ist Prävention preiswerter und selbstbestimmter als im Notfall unvorbereitet reagieren zu müssen.“
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.