An der Schwelle zum neuen Jahr: Wo stehen die Städte? Welche Herausforderungen liegen vor ihnen, und was erhoffen sie sich von 2024? Wie sie ins neue Jahr schauen, als Stadtlenker, als Lokalpolitiker und ganz persönlich – das hat #stadtvonmorgen verschiedene Oberbürgermeister gefragt. In einer Serie zum Jahreswechsel spricht bis zum 3. Januar täglich ein Oberbürgermeister über seine Perspektive auf 2024. An dieser Stelle ist es Markus Lewe, der Oberbürgermeister von Münster. Die Antworten aller Oberbürgermeister sind gebündelt in den #stadtvonmorgen-Newslettern am 27. Dezember (Teil 1) und am 3. Januar (Teil 2) zu lesen. (Die Anmeldung zum wöchentlich erscheinenden Newsletter ist kostenlos und hier möglich.) #stadtvonmorgen wünscht: Froh’s Neues!
„Gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick halten“
#stadtvonmorgen: Wenn Sie auf den Jahreswechsel schauen und die Situation der deutschen Kommunen reflektieren: Welche Themen bewegen die Städte am drängendsten? Wo liegen ihre zentralen Herausforderungen mit Blick auf 2024?
Markus Lewe: Viele der aktuellen Herausforderungen sind in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Daueraufgaben für die Städte: Klimaschutz und Klimaanpassung, die Wärmewende, die Integration von Geflüchteten oder die Mobilitätswende. Die zentrale Herausforderung für 2024 wird sein, bei all diesen Aufgaben den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Blick zu halten. Die Menschen, die bei uns in den Städten leben, wissen um die notwendige Transformation. Der Weg dorthin braucht aber auch Akzeptanz in unseren Stadtgesellschaften. Das geht nur mit pragmatischen, lebensnahen Lösungen.
„Die Städte in der Gesetzgebung einbeziehen“
#stadtvonmorgen: Was braucht es, diese Herausforderungen zu lösen?
Markus Lewe: Natürlich brauchen wir als Städte dafür auch Geld. Es braucht aber noch etwas anderes: Bund und Länder müssen wieder zurückfinden zu einem konstruktiven, lösungsorientierten Dialog. Und sie sollten die Städte in der Gesetzgebung von Beginn an mit einbeziehen. Wir brauchen mehr Vertrauen zwischen den Ebenen und mehr Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung. Klimaanpassung, Wärmewende, Mobilitätswende, Integration – all das entscheidet sich vor Ort. Deshalb ist der richtige Weg: Bund und Länder setzen den Rahmen, und die Städte bekommen die nötige Beinfreiheit für eigene Entscheidungen.
Die Herausforderungen einer wachsenden Stadt
#stadtvonmorgen: Den Blick auf Ihre Stadt gerichtet: Welche lokalen Themen treiben Sie an der Schwelle zum neuen Jahr besonders um?
Markus Lewe: Münster ist eine attraktive, wachsende Stadt. Daraus ergeben sich besondere Herausforderungen etwa in den Bereichen bezahlbares Wohnen, moderne Mobilität sowie in der sozialen und technischen Daseinsvorsorge. Hier müssen wir dringend eine Balance finden zwischen Klimaschutz, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Stabilität, um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern. Zudem arbeiten wir daran, die Chancen einer engen Kooperation zwischen Wissenschaft und Stadtgesellschaft weiter auszuschöpfen, in Münster aber auch als grenzüberschreitende europäische Innovationsregion mit unseren Partnern in den Niederlanden.
Markus Lewe: Plädoyer für Europa
#stadtvonmorgen: Was erwarten Sie persönlich von 2024?
Markus Lewe: 2024 stehen wir vor entscheidenden Weichenstellungen, lokal wie global. Bei der Europawahl wird es darauf ankommen, den Wert der Europäischen Union für ein friedliches Zusammenleben in Demokratie, Freiheit und Wohlstand wiederzuentdecken. Bei allem Ärger über Bürokratie und Blockaden einzelner Mitgliedstaaten dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, welche zivilisatorische Errungenschaft die EU ist. Nur gemeinsam, als starkes und solidarisches Europa, können wir den großen Herausforderungen unserer Zeit gerecht werden und mit Zuversicht in die Zukunft gehen.
Info
An der Befragung haben folgende Oberbürgermeister teilgenommen: Mike Josef aus Frankfurt am Main, Boris Palmer aus Tübingen, Eva-Maria Kröger aus Rostock, Frank Nopper aus Stuttgart, Thomas Westphal aus Dortmund, Katja Wolf aus Eisenach, Markus Lewe aus Münster, Sibylle Keupen aus Aachen, Dieter Reiter aus München, Dirk Hilbert aus Dresden, Markus Zwick aus Pirmasens, Jutta Steinruck aus Ludwigshafen, Beate Kimmel aus Kaiserslautern, Katja Dörner aus Bonn, Fabian Geyer aus Flensburg, Uwe Conradt aus Saarbrücken und Frank Mentrup aus Karlsruhe.
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.