Rico Badenschier: „Demografie, Energie und Finanzen“

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Vor welchen Transformationsaufgaben stehen die deutschen Städte? Was treibt sie um? Und was erwarten sie sich angesichts der anstehenden Neuwahlen von der Bundespolitik? Diese Fragen stellt #stadtvonmorgen zum Jahreswechsel 14 deutschen Stadtlenkern. An dieser Stelle antwortet Oberbürgermeister Rico Badenschier aus Schwerin. Die Antworten aller 14 Oberbürgermeister erscheinen nacheinander in der Serie „Über die Jahresschwelle“ auf dieser Plattform sowie gebündelt am 2. und 8. Januar im #stadtvonmorgen-Newsletter. Der Newsletter kann kostenlos hier abonniert werden.

Die drei wichtigsten Transformationsthemen

#stadtvonmorgen: Ob Energie, Mobilität, Innenstadtentwicklung, Digitalisierung, Wohnungsbau oder Klimaschutz und -anpassung: Das Spektrum großer Transformationsthemen, vor denen Städte stehen, ist weit. Auf welchen Feldern liegen speziell für Ihre Stadt die zentralen Zukunftsthemen und drängendsten Herausforderungen?

Rico Badenschier: Die drei wichtigsten Themen sind: Demografie, Energie und Finanzen. Arbeitskräftesicherung ist in Schwerin ein großes Thema. In der Verwaltung begegnen wir dem demographisch bedingten Fachkräftemangel seit Jahren mit einer Digitalisierungsoffensive, die Wirtschaft unterstützen wir durch gemeinsame Fachkräftekampagnen und Investitionen in topmoderne Berufsschulen. Die klimaneutrale Wärmeversorgung ist in einer Stadt mit teils historischer innerstädtischer Gebäudesubstanz eine große Herausforderung. Hier setzen wir auf den Ausbau der Wärmenetze und die Umstellung der Energieerzeugung auf erneuerbare Quellen wie Geothermie. Bleibt die wichtige Frage nach der Finanzierung von Transformationsprozessen: Wir müssen uns ernsthaft überlegen, wie wir den damit verbundenen Aufgabenzuwachs als Kommune finanzieren können. Von Bund und Land werden immer neue und höhere Standards gesetzt. Doch das Prinzip, dass wer bestellt auch bezahlt, ist oft außer Kraft gesetzt. Deshalb müssen wir mindestens über eine neue Zuordnung der Lasten, gegebenenfalls auch eine Reduktion der Ansprüche nachdenken.

Grundlegende Aufgabenkritik und Staatsreform

#stadtvonmorgen: Welches sind dabei die größten Hürden für Ihre Stadt?

Rico Badenschier: Unsere finanzielle Ausstattung als Kommune habe ich schon angeschnitten – wir haben seit mehr als 20 Jahre keinen ausgeglichenen Haushalt mehr und müssen einen Berg an Kassenkrediten abtragen, um finanziell wieder voll handlungsfähig zu werden. Ein weiteres Problem ist die strukturell bedingte fehlende Innovationskraft – Schwerin fehlt eine staatliche Hochschule oder Universität.

#stadtvonmorgen: Wo sehen Sie die wichtigen Stellschrauben: Was braucht Ihre Stadt, um Ihre Aufgaben zu meistern und in die Zukunft zu schreiten?

Rico Badenschier: Wir brauchen eine grundlegende Aufgabenkritik, verbunden mit einer Staatsreform. Kommunen können auch Aufgaben abgeben. Zum Beispiel muss das Meldewesen in einem digitalisierten Staat nicht mehr die Kommune machen. Gleichzeitig brauchen wir mehr kommunale Eigenverantwortung und weniger Gängelung durch die goldenen Zügel von immer neuen Förderprogrammen und damit verbundener Bürokratie. Kommunen wissen selbst am besten, wo sie investieren müssen, um zukunftsfähig zu bleiben.

„Die Stadt von morgen muss eine entschuldete Stadt sein“

#stadtvonmorgen: Was erwarten Sie sich von der Bundespolitik und einer sich neu formierenden Regierung für die Kommunen?

Rico Badenschier: Erstens: Die Formulierung konkreter strategischer Zielstellungen. Vor Ort müssen wir doch wissen, ob in wasserstoffgetriebene oder elektrische Mobilität investiert wird. Zweitens: die strikte Einhaltung des Konnexitätsprinzips. Drittens: die Lösung der kommunalen Altschuldenproblematik. 

#stadtvonmorgen: Was ist Ihr erreichbares, nicht zu fernes Zielbild: Wie sieht Ihre Stadt von morgen aus, welche typischen Merkmale hat sie?

Rico Badenschier: Die Stadt von morgen muss eine entschuldete Stadt sein, damit Schwerin 2029 erstmals nach drei Jahrzehnten Haushaltssicherung seine kommunalen Geschicke tatsächlich wieder selbst bestimmen kann. Mein Ziel sind außerdem zwei bis drei Industrieansiedlungen mehr, um unsere Wirtschaftskraft zu steigern. Denn derzeit entfallen nur 5.500 der 51.000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in der Landeshauptstadt auf das verarbeitende Gewerbe.

Info

Die Interviews mit allen 14 Oberbürgermeistern in der Serie „Über die Jahresschwelle“ gibt es zum Nachlesen gebündelt in den #stadtvonmorgen-Newslettern am 2. und am 8. Januar. Anmeldung kostenlos hier.

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.