Thomas Kiechle: „Zeiten großen Wandels erfordern Zusammenhalt“

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Vor welchen Transformationsaufgaben stehen die deutschen Städte? Was treibt sie um? Und was erwarten sie sich angesichts der anstehenden Neuwahlen von der Bundespolitik? Diese Fragen stellt #stadtvonmorgen zum Jahreswechsel 14 deutschen Stadtlenkern. An dieser Stelle antwortet Oberbürgermeister Thomas Kiechle aus Kempten. Die Antworten aller 14 Oberbürgermeister erscheinen nacheinander in der Serie „Über die Jahresschwelle“ auf dieser Plattform sowie gebündelt am 2. und 8. Januar im #stadtvonmorgen-Newsletter. Der Newsletter kann kostenlos hier abonniert werden.

„Eine Zeit tiefgreifender Veränderungen“

#stadtvonmorgen: Ob Energie, Mobilität, Innenstadtentwicklung, Digitalisierung, Wohnungsbau oder Klimaschutz und -anpassung: Das Spektrum großer Transformationsthemen, vor denen Städte stehen, ist weit. Auf welchen Feldern liegen speziell für Ihre Stadt die zentralen Zukunftsthemen und drängendsten Herausforderungen?

Thomas Kiechle: Als Kommune erleben wir gerade eine Zeit tiefgreifender Veränderungen und enormer Transformationsprozesse. Die Gestaltung der Verkehrswende, der Umbau der Innenstadt mit multifunktionalen Nutzungen, der Klimaschutz sowie die Digitalisierung der Verwaltung sind für uns zentrale Themen. Auch Wohnbau ist ein drängendes Thema. Kempten ist eine wachsende Stadt. Trotz der ständigen Wohnbauentwicklung bleibt die Nachfrage nach Wohnungen, im speziellen die nach bezahlbaren Mietwohnungen, ungebrochen.

#stadtvonmorgen: Welches sind dabei die größten Hürden für Ihre Stadt?

Thomas Kiechle: Die entscheidende Hürde stellt die ausreichende Finanzausstattung der Stadt dar. Momentan befinden wir uns wie viele andere Kommunen auch in einer schwierigen Phase: Die Haushalte der Kommunen sind enorm unter Druck. Steigende Kosten etwa durch Inflation, Energiepreise und zusätzliche Aufgaben für die Stadtverwaltung belasten die Haushalte. Dabei geht es uns in Kempten vergleichsweise gut, denn wir verzeichnen weiter stabile Einnahmen. Trotzdem müssen wir signifikante Einsparungen vornehmen, die viele Bereiche treffen und schmerzen.

Stärkere Unterstützung bei Kommunalfinanzen

#stadtvonmorgen: Wo sehen Sie die wichtigen Stellschrauben: Was braucht Ihre Stadt, um Ihre Aufgaben zu meistern und in die Zukunft zu schreiten?

Thomas Kiechle: Mit Blick auf die wachsenden Aufgaben der Kommunen brauchen wir eine stärkere Unterstützung bei der Finanzierung der kommunalen Haushalte. Für eine erfolgreiche Digitalisierung der Verwaltungsprozesse müssen gesetzliche Barrieren beseitigt werden. Darüber hinaus sind aber vor allem die Menschen und das Miteinander in unserer Stadtgesellschaft entscheidend. Ich denke hier an die vielen Engagierten im Ehrenamt, in Vereinen oder anderen Institutionen. Sie sind ein wesentlicher Pfeiler bei der Gestaltung der Zukunft unserer Stadt. Denn Zeiten großen Wandels erfordern umso mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Als Kommunalpolitiker bewegen wir uns derzeit im folgenden Spannungsfeld: Wie schaffen wir es, unter Berücksichtigung aller notwendigen Kompromisse und Einsparungen, die Bedürfnisse unserer Bürger zu erfüllen und gleichzeitig eine nachhaltige und zukunftsfähige Politik zu gestalten? Und noch dazu müssen wir es schaffen, dass die Menschen nicht auch das Vertrauen in unsere repräsentative Demokratie verlieren.

„Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen“

#stadtvonmorgen: Was erwarten Sie sich von der Bundespolitik und einer sich neu formierenden Regierung für die Kommunen?

Thomas Kiechle: Vor allem brauchen wir verlässliche Rahmenbedingungen und – weil das gerade ein großes Thema bei uns in Kempten ist – Reformen im Bereich der Digitalisierung. Das kommunizieren wir auch nach München und Berlin. Dafür haben wir uns überregional zusammengeschlossen, so in der Allgäu GmbH, deren Aufsichtsratsvorsitzender ich derzeit bin. Die Staatsausgaben auf allen Ebenen – bei Bund, Ländern und Kommunen – müssen sich an der finanziellen Leistungsfähigkeit ausrichten. Zudem muss die konjunkturelle Entwicklung wieder belebt werden, und die Wettbewerbsfähigkeit und nicht zuletzt die Infrastruktur der Republik müssen gestärkt werden. Nicht zuletzt muss auch die Bürokratie, wo immer es geht, abgebaut werden – dies käme auch uns direkt zugute, da wir viele Regularien direkt umsetzen müssen.

Die Fähigkeit zur Veränderung bewahren

#stadtvonmorgen: Was ist Ihr erreichbares, nicht zu fernes Zielbild: Wie sieht Ihre Stadt von morgen aus, welche typischen Merkmale hat sie?

Thomas Kiechle: Ich sehe Kempten weiterhin als Metropole des Allgäus und als Stadt, in der die Menschen gut und gerne leben – und nicht allzu oft in die Stadtverwaltung gehen müssen, weil sie alles bequem von zuhause aus erledigen können. Ich bin zuversichtlich, dass es uns im Allgäu gelingen wird, den großen Wandel dieser Zeiten zu gestalten. Unsere DNA ist geprägt von einem ständigen Wandlungsprozess. Wenn man die geschichtliche Entwicklung des Allgäus betrachtet, das immer eine arme und verkehrstechnisch abgeschlossene Gegend war und heute eine wirtschaftlich starke, touristisch geprägte Region mit den unterschiedlichsten Ausrichtungen ist, wird deutlich: Uns ist es immer gelungen, unsere Tradition zu halten und zu leben, ohne sie als Folklore verkommen zu lassen, weil wir schon immer die Fähigkeit zur Veränderung an den Tag gelegt und uns nach der Zukunft ausgerichtet haben.

Info

Die Interviews mit allen 14 Oberbürgermeistern in der Serie „Über die Jahresschwelle“ gibt es zum Nachlesen gebündelt in den #stadtvonmorgen-Newslettern am 2. und am 8. Januar. Anmeldung kostenlos hier.

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.