Hunderttausende gingen am Wochenende auf die Straße: Die deutschen Städte sind Zentren von Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und gegen die rechtspopulistische Partei AfD. Der Anlass des Protests sind Berichte des Recherchenetzwerks Correctiv über ein Treffen zwischen Rechtsextremen und unter anderem AfD-Funktionären sowie Mitgliedern der Werteunion. Bei dem Treffen in Potsdam soll über Remigration, die massenhafte Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund, gesprochen worden sein. Darüber zeigen sich die Städte „schockiert“. In der sogenannten Trierer Erklärung warnte der Deutsche Städtetag am Donnerstag vor einer Erosion der Demokratie. Was sagen Oberbürgermeister dazu? Wie ist die Lage in ihrer Stadt? Und was bedeutet die rechtsextreme Bedrohung für Ihre Stadtgesellschaft? Darüber spricht #stadtvonmorgen mit Octavian Ursu, dem Oberbürgermeister von Görlitz. Mit dem morgigen Newsletter (Anmeldung hier) erscheinen außerdem die Stimmen weiterer Oberbürgermeister.
„Es ist wichtig, aufmerksam zu sein“
#stadtvonmorgen: Herr Ursu, bundesweit gibt es derzeit eine Bewegung gegen rechtsextreme Strömungen, tausende Menschen gehen auf die Straße für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – auch in Görlitz. Doch wie nachhaltig ist dieses Engagement? Was muss nun daraus folgen?
Octavian Ursu: Wie nachhaltig dieses Engagement ist, kann ich nicht einschätzen. Es ist auf jeden Fall beeindruckend zu erleben, wie viele Menschen nach diesem Treffen in Potsdam und den daraus bekannt geworden Inhalten das Bedürfnis haben, gegen Rassismus und Antisemitismus und für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit Gesicht zu zeigen. Daraus folgen sollte weiteres Engagement von viel mehr Menschen als bisher für unsere Demokratie – und sei es durch die Wahrnehmung des aktiven und passiven Wahlrechtes.
#stadtvonmorgen: Wie lässt sich der zunehmende Rechtsextremismus zurückdrängen?
Octavian Ursu: Es ist wichtig, aufmerksam zu sein und denen zu widersprechen, die rechtsextreme Parolen verbreiten. Das kann ganz sachlich passieren über das Widerlegen von Falschbehauptungen durch Fakten. Aber auch vor dem Hintergrund des Wissens um die deutsche Geschichte mit deutlichen Worten gegenüber Aussagen und Ausdrücken wie „Remigration“.
„Görlitz/Zgorzelec ist eine internationale Stadt“
#stadtvonmorgen: Anlass der Demonstrationen ist ein bekanntgewordenes Treffen zwischen Rechtsextremen und unter anderem AfD-Funktionären, bei dem offen über Remigration gesprochen wurde. Was bedeutet es für den sozialen Zusammenhalt in einer Stadtgesellschaft, wenn solches Gedankengut zirkuliert?
Octavian Ursu: Dieses Gedankengut ist mit vielen Teilen des deutschen Grundgesetzes, ich denke da unter anderem an die Artikel 1, 3 und 4, nicht vereinbar. Es legt darauf an, die Gesellschaft zu spalten und ist eine große Gefahr für den Zusammenhalt. Deswegen ist es ganz wichtig, dass die Stadtgesellschaft sich möglich vielfältig dagegen wehrt.
#stadtvonmorgen: Was bedeutet es für das Profil einer grenzüberschreitend agierenden deutsch-polnischen Stadt wie Görlitz?
Octavian Ursu: Die Europastadt Görlitz/Zgorzelec ist inzwischen eine sehr internationale Stadt. Nicht nur wegen der rund 5.000 polnischen und mehr als 1.000 ukrainischen Bürgern, die bei uns leben. In unseren Unternehmen und Forschungseinrichtungen, am Theater und in medizinischen Einrichtungen kommen inzwischen mehr als 15 Prozent der Mitarbeiter aus ganz verschiedenen Ländern der Welt. All diese Menschen machen das Gesicht unserer Stadt aus und tragen zu ihrer guten Entwicklung bei. Das soll auch so bleiben. Wir wollen weiterhin für Weltoffenheit und Freiheit stehen und werden uns gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus wehren.
Raum für „demokratische Debatten zu verschiedenen Themen“
#stadtvonmorgen: Energiewende, Verkehrswende, Wärmewende – Stadtgesellschaften stehen vor tiefgreifenden Transformationsaufgaben, die durchaus mit spannungsgeladenen Debatten beispielsweise um Windkraft oder um die Aufteilung des öffentlichen Raums einhergehen. Wie steht dies in Zusammenhang mit der aktuellen Sorge um Rechtsextremismus: Wie sehr lähmt einerseits der existentielle Streit um unsere demokratische Ordnung wichtige Transformationsbestrebungen; und wie sehr kommen andererseits emotionale und kontroverse demokratische Debatten auf anderen Politikfeldern rechtsextremen Gruppierungen zugute?
Octavian Ursu: In der Kommunalpolitik geht es an vielen Stellen sehr konkret und pragmatisch zu. Für Ideologien ist da nicht so viel Platz. Es ist auf jeden Fall begrüßenswert, wenn sich möglichst viele Menschen beteiligen und politisch einbringen möchten und demokratische Debatten zu ganz verschiedenen Themen stattfinden.
#stadtvonmorgen: Erlauben Sie mir, Ihre persönliche Biografie anzusprechen. Sie haben rumänische Wurzeln. Wie groß sind Ihre Sorgen, wenn Sie von derartigen rechtsextremen Treffen hören, wie fühlt sich die Debatte für Sie an?
Octavian Ursu: Ich bin sehr oft darauf angesprochen worden in den vergangenen Tagen – von Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn, Kollegen und Bekannten. Sie alle beschäftigt das sehr. Persönlich neige ich nicht so sehr zum Sorgen, aber ich fühle mich von dem Thema natürlich schon direkt angesprochen.
„Sachliche Auseinandersetzung ist das Wichtigste“
#stadtvonmorgen: Sie selbst sind bei der Wahl zum Oberbürgermeister gegen einen AfD-Kandidaten angetreten. Wie schätzen Sie die Lage ein: Wie sollte man der Partei im politischen Raum begegnen?
Octavian Ursu: Sachliche Auseinandersetzung ist das Wichtigste. Dabei muss deutlich werden, welche Positionen die AfD vertritt und was diese für Deutschland bedeuten. Ich denke da an die Haltung zur Europäischen Union ebenso wie die zu Kunst und Kultur.
Info
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.

