„Ein neues Verständnis von Rathaus“

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Mit seinem neuen Positionspapier „Kommunale Handlungsfähigkeit erhalten in Zeiten des Arbeitskräftemangels“ warnt der Deutsche Städtetag vor der immer größer werdenden Personalnot in den Rathäusern. „Die Handlungsfähigkeit der Kommunalverwaltungen gerät zunehmend in Gefahr, die Auswirkungen spüren die Bürger bereits jetzt“, heißt es in dem Papier, das heute erscheint und auf der Webseite des kommunalen Spitzenverbands (hier) abrufbar ist. Die wachsenden Kapazitätslücken wirkten auch auf die Gesellschaft und auf die Stabilität des demokratischen Systems: „Wird die Kommunalverwaltung vor Ort nicht mehr als handlungsfähig wahrgenommen, bringt dies in letzter Konsequenz unsere Demokratie in Gefahr.“

Arbeitskräftemangel: „Dynamik ist atemberaubend“

Zum einen ruft der Kommunalverband die Städte dazu auf, ihre Maßnahmen zur Arbeitskraftsicherung zu intensivieren. Dazu gehörten unter anderem Kampagnen zur Mitarbeitergewinnung und modernes Recruiting, Möglichkeiten für Quereinsteiger, Fort- und Weiterbildungsangebote sowie Arbeitsmodelle, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf begünstigen. Zudem fordert der Städtetag eine konsequente Digitalisierung und Automatisierung sowie mehr interkommunale Zusammenarbeit, um Effizienzpotentiale zu heben. Zum anderen richtet er seine Forderungen an Bund und Länder, „durch Entbürokratisierung, Verschlankung von Regelungen, Abbau von Standards und digitaler Transformation ein Gleichgewicht zwischen den verfügbaren Arbeitskräften und Aufgabenbereichen herbeizuführen“.

Schätzungsweise scheidet nach Angaben des Städtetags bis 2030 jeder dritte Mitarbeiter im öffentlichen Sektor, mithin 1,5 Millionen von insgesamt fünf Millionen Beschäftigten, altersbedingt aus. Schon heute sind rund 400.000 Stellen im öffentlichen Sektor unbesetzt. „Die Dynamik ist atemberaubend“, sagt Städtetag-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy gegenüber #stadtvonmorgen. (Das vollständige Interview mit Dedy erscheint am 14. Februar mit dem #stadtvonmorgen-Newsletter; Anmeldungen hier.)

Kommunales Praxiswissen in die Gesetzgebung einbinden

Mit Blick auf die Gesetzgebung fordert der Städtetag, neue Regelungen „wirksamer und praxistauglicher“ zu gestalten. „Die Vollzugstauglichkeit ist zwingend in den Blick zu nehmen. Gerade die frühzeitige Einbeziehung der kommunalen Ebene ist unabdingbar, damit neue Regelungen administrierbar sind. Hieran krankt es seit einigen Jahren deutlich.“ Diese Reibungsverluste belasteten die Städte im Zusammenhang mit dem Arbeitskräftemangel zusätzlich.

Die Kommunen seien dazu bereit, „ihr Vollzugswissen in den Entstehungs- und Überarbeitungsprozess rechtlicher Regelungen einzubringen“. Demgegenüber sei „in der Praxis zunehmend festzustellen, dass trotz nicht vorliegender Eilbedürftigkeit Gesetze mit Fristen von wenigen Tagen den kommunalen Spitzenverbänden zugeleitet werden“. Dies mache eine Beteiligung nahezu unmöglich und missachte die diesbezüglichen Rechte der Kommunen.

Arbeitskräftemangel: digitale Lösungen, Standards reduzieren

Bereits im Entstehungsprozess neuer Regelungen müsse auch deren digitale Umsetzung mitgedacht werden. Nur so ließen sich die Effizienzpotentiale der Digitalisierung im Sinne medienbruchfreier Verwaltungsprozesse heben. Dabei plädiert der Städtetag auch auf einheitliche digitale Lösungen für Aufgaben, die vom Bund vorgegeben sind und deren Abläufe sich in den Städten gleichen. Dazu gehören beispielsweise die Beantragung von Personalausweisen und Reisepässen oder Vorgänge im Kfz-Wesen.

Darüber hinaus brauche es eine fundamentale Aufgabenkritik und das Hinterfragen hergebrachter Standards. „So wünschenswert manche Standards wie zum Beispiel Fachkraftquoten sind, sie werden angesichts des Arbeitskräftemangels zum Teil nicht mehr einzuhalten sein“, heißt es in dem Positionspapier. Ein frappierendes Beispiel dafür ist der Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ab 2026: „Die hierfür erforderlichen über 100.000 Betreuungskräfte wird es im Bereich des Fachpersonals bis dahin selbst bei einer Ausbildungsoffensive nicht geben.“ Man komme also nicht umhin, „geeignetes, aber beruflich nicht vorgebildetes Personal in größerem Umfang“ einzusetzen.

Mehr Spielraum für flexible und pragmatische Lösungen

Insofern brauche es, um dem Arbeitskräftemangel zu begegnen, mehr Spielräume für pragmatische Personallösungen. Ebenso sei eine Flexibilisierung im Bereich des Dienst- und Tarifrechts sowie beim Renten- und Pensionseintritt vonnöten. Fehlanreize für einen früheren Renteneintritt gelte es abzuschaffen, demgegenüber seien Anreize für längeres Arbeiten zu setzen.

„Die Auswirkungen sind auf allen Ebenen greifbar: Wie schaffen wir es, Verwaltungsleistungen und Standards zu erhalten? Wie verändern sich die Arbeitswelten, und was bedeutet das für ein Rathaus? Welche Antworten sind tarifpolitisch zu geben? Was bringt uns die Digitalisierung?“, fragt Dedy. Die mit der Beantwortung dieser Fragen verbundenen Neuerungen könnten tiefgreifend sein, beispielsweise hinsichtlich der digitalen Kommunikation zwischen Bürgern und Verwaltung. Dedy: „Damit geht auch ein neues Verständnis von Rathaus einher.“

Info

Im Interview mit #stadtvonmorgen gibt Städtetag-Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy eine themenübergreifende Standortbestimmung zur Lage der Städte. Das Interview erscheint am 14. Februar mit dem #stadtvonmorgen-Newsletter; Anmeldungen hier.

a.erb@stadtvonmorgen.de

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.