Majestätisch reckt sich die Fassade gen Himmel. Das imposante Bauwerk dominiert seine Umgebung. Dies tut es souverän mit reduzierter, schnörkelloser Architektur, mit klaren Kanten und einer rasterartigen Geometrie. Nach modernen Ansprüchen wirkt er vielleicht einen Tick zu wuchtig, ein wenig zu ungelenk, zu wenig filigran fügt sich der Baukörper in den Stadtraum. Aber trotzdem fasziniert seine Gestalt noch immer.
Ausgestorbenes Warenhaus statt Konsumtempel
Obwohl es aus einer längst vergangenen Epoche stammt, hat das Gebäude nichts von seiner pompösen Präsenz verloren. Es ist die bauliche Interpretation des Begriffs Konsumtempel: Große Schaufenster machten einst die verlockende Versprechung vom sorglosen Leben in Hülle und Fülle.
Sofern man allerdings heute durch die mit Plakatkleister verschmierten und mit zerrissenen Werbepostern für DJ-Abende beklebten Fenster lugt, blickt man in gähnende Leere und Tristesse. Kaum ein anderer Ort dokumentiert den gesellschaftlichen Wandel im Zeichen der Digitalisierung so imposant wie ein ausgestorbenes Warenhaus.
Vielerorts ist das Geschäftsmodell entbehrlich geworden, das Konsumverhalten der Kunden hat sich gewandelt, unter anderem gilt der aufstrebende Onlinehandel als Grund dafür. In einigen deutschen Städten steht solch eine leere Gebäudehülle mitten im urbanen Zentrum, im Herzen der City.
Filialschließungen von Karstadt Kaufhof schockieren die Städte
Was einst Wohlstand bedeutete, ist nun Gegenstand von zähen Verhandlungen zwischen Lokalpolitikern, Investoren und Immobilienfonds um Nachnutzungen und Umbauten. Und selbst dort, wo es Karstadt, Kaufhof und Co. noch gibt, scheinen die Szenarien aus anderen Städten wie ein Damoklesschwert über den Warenhäusern zu schweben.
Gerade hat der Konzern Karstadt Kaufhof angekündigt, weitere dutzende Filialen im Bundesgebiet zu schließen. Für viele der betroffenen Städte wirkt dies wie ein Schock. Oberbürgermeister beraten untereinander, auch im Kontext des Deutschen Städtetags und der kommunalen Spitzenverbände auf Landesebene, wie sie mit dieser Situation umgehen.
Recklinghausen: Hier gelingt die Transformation eines Warenhauses
Doch andere Städte haben die Transformation eines Warenhauses bereits hinter sich oder sind längst damit beschäftigt. Recklinghausen ist ein solches Beispiel. Und eines, das zeigt, wie eine Stadt sich in diesem Prozess Handlungsspielräume eröffnen kann.
Allerdings gibt sich der Recklinghausener Bürgermeister Christoph Tesche bescheiden. Ob seine Stadt ein Modell für andere sein könne? „An vielen Stellen hatten wir einfach Glück“, sagte Tesche im vergangenen Jahr OBM-Interview (Ausgabe März 2019). Etwa hatte man einen Draht zu den Eigentümern der ehemaligen Karstadt-Immobilie. Das ist vielerorts, wo ferne Fonds die leeren Gebäude managen, nicht selbstverständlich. Dieser Kontakt beschleunigte vieles.
In Recklinghausen gelingt Erstaunliches: 2016 zog sich Karstadt aus der City zurück. Zwei Jahre später schon stellte ein Investor seine Pläne für die Nachnutzung des Hauses vor. 2021 soll der Umbau fertig sein.
Karstadt Teil der urbanen Tradition in Recklinghausen
Wie in vielen anderen Städten hat das Warenhaus mit seiner markanten Architektur in Recklinghausen eine lange Tradition. 1893 öffnete hier eine Althoff-Filiale, später übernahm Karstadt. Über Generationen hinweg brummte der Laden. Mit 13.673 Quadratmetern belegte Karstadt einst rund 20 Prozent der Verkaufsfläche der gesamten Altstadt.
Für viele Mitarbeiter war der Niedergang „mehr als ein Jobverlust“, so Tesche. Noch heute vermissten viele Stadtbewohner die Versorgung durch das Warensortiment. Frequenzströme in der City seien nach Abzug von Karstadt regelrecht weggebrochen. Dies deutet auf die Magnetfunktion hin, die das Warenhaus selbst am Ende seiner Tage noch hatte.
Und all dies macht die Wirkung, die ein Leerstand in derart zentraler Lage für eine Stadt ausstrahlt, umso fataler. Daher setzte die Stadt, auch wenn sie nicht Eigentümerin der Immobilie ist, eine hohe Priorität darauf, dem Gebäude zu einer neuen Nutzung zu verhelfen. Dass die Gespräche mit dem Düsseldorfer Investor, der AIP-Gruppe um Gerd Rainer Scholze, rasch fruchteten, bezeichnet Tesche als „Glücksfall“.
„Stadtreparatur“: Dialog mit Investor wichtig für Transformation
Zupass kommt dem Bürgermeister, dass der Investor keinen Abriss plant, sondern den Charakter des Gebäudes erhalten will. Scholze spricht im Zusammenhang mit der Gestaltungsaufgabe, die verwaiste Warenhäuser an „ihre“ Städte stellen, von einer „Stadtreparatur“. Darin liege durchaus eine einmalige Chance, neue Funktionen in die Zentren zu bringen.
Für das ehemalige Warenhaus in Recklinghausen ist zukünftig eine Mischnutzung vorgesehen. Ein Hotel zieht ein, dazu soll es Einheiten für barrierefreies und betreutes Wohnen geben. Im Erdgeschoß sind kleinteilige Flächen für Einzelhandel und Gastronomie geplant. Auch Büros, Gewerbe- und Dienstleistungsunternehmen sollen einen Platz finden.
Die Pläne des Investors für die leere Karstadt-Filiale treffen in der Stadtgesellschaft auf eine breite Akzeptanz. Das ist für ein derart exponiertes Vorhaben nicht selbstverständlich. Es hängt unter anderem wohl damit zusammen, dass Scholze die enge Abstimmung mit der Stadtverwaltung und den Dialog mit der Bürgerschaft nicht als lästig empfindet, sondern sie sogar sucht. Zeitweise ließ er den Leerstand mit Kulturevents bespielen. Damit biete er den Bürgern die „Möglichkeit, Abschied zu nehmen von dem alten Warenhaus und den Neubeginn des Gebäudes positiv zu erleben“, wie er sagt.
Stadt als Mieterin: Neue Steuerungsinstrumente für Revitalisierung
Die Stadt gestaltet mit. Um sich ein Steuerungsinstrument zu verschaffen und wohl nicht zuletzt, um das konsensfähige Vorhaben zu unterstützen, kam Tesche auf eine nicht alltägliche Idee. Die Stadt, die weder Eigentümerin noch Investorin ist, tritt als zukünftige Mieterin auf. So gewann sie in Verhandlungen um die Gestaltung und Nutzung der Immobilie zusätzlich an Gewicht.
Sie mietet nämlich in dem ehemaligen Warenhaus Räume für eine Kindertagesstätte an. Damit dürfte der Recklinghausener Karstadt-Bau das erste leerstehende Warenhaus sein, in dem eine Kita unterkommt.
Die Idee, Leerstände mit öffentlichen Einrichtungen zu beleben, setzt sich in Recklinghausen fort. In das ehemalige C&A-Gebäude ist die Stadtbibliothek gezogen und hat dort im Erdgeschoß eine Fläche von rund 1.500 Quadratmetern angemietet. Dahinter steckt nicht nur das Anliegen, die Leerstände zu beseitigen, sondern Tesches Ziel ist es auch, Frequenzbeziehungen im Stadtkern zu erhalten.
Stadtmanagement soll „Pingpongeffekte“ auslösen
Trends im Einzelhandel könne eine Stadt nur bedingt beeinflussen. „Also muss sie nach Wegen suchen, die Prozesse zumindest lokal zu steuern“, erklärt der Bürgermeister. Um eine Abwärtsspirale mit immer mehr schließenden Läden zu verhindern, gelte es, Menschen in die Stadt zu bringen – in den Einzelhandel, in die Gastronomie oder auch zu innerstädtischen Kulturevents. So entstünden „Pingpongeffekte“: Etwa löste die neue Stadtbibliothek den Effekt aus, dass sich in unmittelbarer Nähe eine Buchhandlung und eine temporäre Galerie ansiedelten.
Der Bürgermeister spricht vom „Erlebensraum und Lebensraum Stadt“ – nur, wenn es gelinge, ein entsprechendes Lebensgefühl auszustrahlen, blieben Städte attraktive Anziehungspunkte mit hoher Lebensqualität für die Menschen. Es weiß aber auch: „Wir können nicht jeden Leerstand beseitigen.“ Beliebig viele Kitas oder Bibliotheken hat eine Kommune nicht zu verteilen.
Stadtmanagement ist eben auch Improvisation und erfordert eine hohe Flexibilität. Einen universellen Plan dafür gibt es in den seltensten Fällen.
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.