OBM exklusiv: „Ob die EU genügend in die Zukunft investiert, zeigt erst die praktische Haushaltsführung“

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Als „Erfolg, der als Meilenstein in die Geschichte der Europäischen Union eingehen dürfte“, bezeichnet Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, die Ergebnisse des EU-Ratsgipfels vom Wochenende. Dies sagte Landsberg heute gegenüber den Fachmedien „OBM-Zeitung“ und „Der Neue Kämmerer“. Dennoch bleiben manche europapolitischen Anliegen des kommunalen Spitzenverbands offen.

Zum Auftakt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sei es gelungen, Beschlüsse über einen Coronarettungsfonds und den europäischen Haushaltsrahmen von 2021 bis 2027 zu fassen. Dies sei aus Sicht der Städte und Gemeinden ein wichtiger Schritt nicht nur im Kampf gegen die Coronakrise, sondern auch im Zusammenhang mit weiteren, mannigfaltigen Themen der Kommunen. Insgesamt handelt es sich um ein Gesamtvolumen von 1,8 Billionen Euro.

Der Haushaltsrahmen von 2021 bis 2027 beträgt über eine Billion Euro. Im Coronarettungsfonds stehen rund 750 Milliarden Euro zur Verfügung.

Landsberg: „Ohne eine starke EU hat Deutschland keine gute Zukunft“

Zwar stiegen die Nettozahlungen Deutschlands in den EU-Haushalt. „Eine erfolgreiche Bewältigung der Coronakrise, eine Stabilisierung der stark angeschlagenen Wirtschaft und damit der öffentlichen Finanzen ist aber nur in einem starken europäischen Verbund möglich – dieser muss ausfinanziert sein“, unterstreicht Landsberg. Dies liege im essentiellen Interesse der Bundesrepublik und der Kommunen. „Ohne eine starke EU hat Deutschland keine gute Zukunft.“

In den aktuellen Beschlüssen sind unter anderem zusätzliche Fördermittel von über 1,3 Milliarden Euro für die ostdeutschen Regionen sowie den ländlichen Raum vorgesehen. Dies komme auch den Städten und Gemeinden zugute und mache die Relevanz Europas für die kommunale Ebene deutlich, so Landsberg.

Im MFR: „Für Migrationspolitik höheren Mittelansatz gewünscht“

Der „Mehrjährige Finanzrahmen“ (MFR) von 2021 bis 2027 definiert sieben Rubriken, nach denen die EU-Ausgaben strukturiert sind. Die Rubriken spiegeln die politischen Schwerpunkte der EU wider. Aus kommunaler Sicht fänden sich darin Themen, deren Priorisierung auch der Städte- und Gemeindebund für den zukünftigen EU-Haushalt gefordert habe, so Landsberg. Dies gelte etwa für Themen wie „Innovation und Digitales“, „Zusammenhalt, Resilienz und Werte“, „Nachhaltigkeit“ oder „Migration und Grenzmanagement“.

„Ob damit die EU genügend in die zentralen Zukunftsthemen investieren wird, wird allerdings erst die praktische Haushaltsführung zeigen. Darauf werden wir aus kommunaler Sicht ein Augenmerk richten“, mahnt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds. Dabei weist Landsberg auch auf Aspekte hin, von denen der Verband sich eine höhere Berücksichtigung erhofft hätte. „Für die Migrationspolitik hätten wir uns einen höheren Mittelansatz gewünscht“, sagt er, „und damit ein Bekenntnis einer zu echten solidarischen Migrationspolitik in der EU.“

Mit Blick auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft, die bis zum Ende des Jahres läuft, hatte der Städte- und Gemeindebund zuletzt einen Forderungskatalog vorgelegt. Zu seinen Kernforderungen zählt neben dem Hinweis auf die Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung und der Daseinsvorsorge auch die Forderung nach dem Wiederaufbau nach der Coronakrise. Zudem fordert er mehr Anstrengungen für den Klimaschutz, eine europäisch synchronisierten Asyl- und Migrationspolitik sowie eine kommunale Partnerschaftsarbeit in europäischem Kontext.

Kommunale Ebene muss sich „zeitnah“ in die Planungen einbringen

Im Zusammenhang mit dem Coronarettungsfonds erwartet Landsberg ebenfalls Effekte auf die Kommunen. Mit dem Fonds begibt sich die EU erstmals und ausnahmsweise in eine Verschuldung durch Anleihen. Dafür nimmt die EU-Kommission über 750 Milliarden Euro auf. Das Geld soll – spätestens ab 2027 – bis 2058 aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt werden.

Die 750 Milliarden Euro des Coronarettungsfonds werden als Zuschüsse (390 Milliarden Euro) und als Kredite (360 Milliarden Euro) gewährt. Die Mittel sind bis 2023 auszuschütten. „Aus der kommunalen Sicht wird es also darauf ankommen, sich zeitnah in die Planungsprozesse auf der Ebene der Bundesländer und des Bundes einzubringen.“

Unter anderem der Klimaschutz und die Digitalisierung, aber auch Aspekte der Nachhaltigkeit wie der Gebäudedämmung, der erneuerbaren Energien oder der öffentlichen Verkehre zählen zu den zentralen Förderthemen des Fonds. Dies korrespondiere inhaltlich mit den Anliegen vieler Kommunen. Zudem seien daraus wichtige für Investitionen in die Infrastruktur zu erwarten, sagt Landsberg.

Nachhaltigkeitsziele vieler Kommunen spiegeln sich auf EU-Ebene

Die Rückzahlung der Mittel in Höhe von 750 Milliarden Euro wird für die EU außerdem zum Anlass, sich neue, eigene Einnahmequellen zu erschließen. Konkret in Rede stehen dafür eine EU-Plastiksteuer auf nicht recycelbares Plastik ab 2021, eine Digitalsteuer sowie eine CO2-Grenzsteuer für Importe aus Staaten ohne strenge Klimaschutzvorgaben ab 2023. Darüber hinaus sind weitere Instrumente wie eine Finanztransaktionssteuer in der Diskussion.

Aus Sicht der Kommunen sieht Landsberg hierbei ebenfalls thematische Betroffenheiten: „Beispielsweise könnte eine Plastiksteuer die Ziele der Nachhaltigkeit vieler Städte flankieren, was Plastikvermeidung, Abfallreduktion und Klimaschutz angeht.“

OBM-Stimmen zur Deutschen EU-Ratspräsidentschaft

Mehr zur Deutschen EU-Ratspräsidentschaft und den Erwartungen der Städte an die Bundesregierung gibt es hier auf der entsprechenden OBM-Themenseite.

Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.