Ein sogenanntes atmendes System bei der Finanzierung von Flüchtlingskosten habe er bereits während seiner Zeit als Bundesfinanzminister forciert. Insofern gefalle ihm der entsprechende Beschluss, den er in der Nacht auf Dienstag mit den Ministerpräsidenten gefasst habe, besonders gut. Das sagte Bundeskanzler Olaf Scholz im Anschluss an die Bund-Länder-Gespräche in Berlin. Die widmeten sich unter anderem der Flüchtlingsfinanzierung. Mit dem Systemwechsel von Pauschalzahlungen des Bundes hin zu einem atmenden System geht laut Scholz die „begründete Hoffnung“ einher, „dass wir solche Diskussionen, in denen Fragen der Finanzen eine Rolle spielen, in den Beziehungen von Bund, Ländern und Kommunen nicht mehr so intensiv haben werden“.
Atmendes System: 7.500 Euro pro Kopf

In den vergangenen Monaten prägte die Diskussion um die Kostenübernahme bei der Flüchtlingsaufnahme sowohl die Migrationspolitik als auch das Verhältnis zwischen Bund, Länder und Kommunen. In den Bund-Länder-Gesprächen seien die Ministerpräsidenten als „Anwälte der Kommunen, die die Belastungen vor Ort besonders zu tragen haben“, aufgetreten, so der hessische Ministerpräsident Boris Rhein bei der Pressekonferenz im Anschluss an die Besprechung. Das Gesprächsergebnis sei „ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung“, dem weitere folgen müssten. Das atmende System sieht eine Pro-Kopf-Pauschale in Höhe von 7.500 Euro vor – entsprechend passt sich die Finanzierung den Flüchtlingszahlen an.
Die Städte begrüßen den Systemwechsel. Er sei eine „gute Nachricht“, so Markus Lewe, Präsident des Deutschen Städtetags. Damit erfülle sich eine langgehegte Forderung der Städte. Aber: „Wir sind skeptisch, ob die Höhe der Pro-Kopf-Pauschale von 7.500 Euro ausreichend ist.“ Die Mittel des Bundes müssten auf jeden Fall von den Ländern „möglichst schnell und eins zu eins“ an die Kommunen weitergegeben werden. Reiche die Unterstützung des Bundes nicht aus, seien die Länder in der Pflicht, Lücken zu schließen. Ein „zusätzlicher Wermutstropfen“ für die Städte sei, dass die Pro-Kopf-Pauschale nur für Neuankömmlinge gelte. Ebenso blieben „die so dringend notwendigen Integrationsleistungen vor Ort“ in der Kostenkalkulation unberücksichtigt.
Effekte auf die Stadtkasse: „zweistelliger Millionenbetrag“
Darüber hinaus haben der Kanzler und die Ministerpräsidenten in der Nacht weitere migrationspolitische Maßnahmen verabredet, die letztendlich auch zur Entlastung der kommunalen Ebene beitragen sollen. Dazu gehören unter anderem die Beschleunigung und Digitalisierung von Asylverfahren, Grenzkontrollen und Kooperationen mit Nachbarländern. Ebenso erörterten sie Modalitäten für Rückführungen im internationalen Kontext sowie die Absenkung von staatlichen Leistungsstandards beziehungsweise die Verlängerung der Frist zum Eintritt der Asylbewerber in die Sozialhilfe von 18 auf 36 Monate.
Welche Effekte der geplante Wechsel auf ein atmendes System der Flüchtlingsfinanzierung auf eine Stadt hat, zeigt sich am Beispiel Hannover. „Für Hannover kann das in der aktuellen Situation einen nennenswerten zweistelligen Millionenbetrag bedeuten“, sagt Finanzdezernent Axel von der Ohe. Das sei eine „relevante Entlastung“. Derzeit habe die Stadt pro Flüchtling jährliche Kosten in Höhe von 22.000 Euro zu tragen. Vom Land kommen bislang nach Angaben der Kommune 11.000 Euro. Mit der geplanten Pro-Kopf-Pauschale hofft die Stadt darauf, dass das Land die neu zugesagten Bundesmittel komplett an die Kommunen weiterreicht und so die Deckungslücke entsprechend um 7.500 Euro sinkt.
Onay kritisiert den Debattengang

„Es ist gut, dass sich Bund und Länder endlich auf ein dynamisches und verbindliches System geeinigt haben“, sagt Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay. Allerdings hält er es angesichts der von Bund und Ländern besprochenen Pläne für „unrealistisch, dass sich nun weniger Menschen auf den Weg nach Deutschland machen“. Die Maßnahmen zur Begrenzung der Migration seien insofern eine „Scheinlösung“.
Zudem kritisiert Onay die aufreibende Kostendebatte der vergangenen Monate und die damit verbundene Rhetorik. „Es wäre gut und richtig gewesen, schon im Frühjahr den Kommunen strukturelle Entlastung in Aussicht zu stellen – als der Kanzler und die Ministerpräsidenten das letzte Mal zusammengesessen und über Migration gestritten haben. Das hätte uns viele unschöne Debatten erspart und möglicherweise auch den Rechtsruck der Republik abgefedert.“ Schließlich gehe es nicht nur um nackte Zahlen, sondern vor allem auch um Menschen und dramatische Schicksale.
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.

