„Wenn man etwas von der Verfasstheit dieses Landes wissen will, dann sollte man die Leute an der Basis fragen.“ Mit diesem Anspruch widmete der ZDF-Talker Markus Lanz alle seiner drei Sendungen der vergangenen Woche den Nöten von Kommunen. „Wie unter einer riesigen Lupe werden in der Kommunalpolitik die globalen Themen sichtbar“, sagte Lanz eingangs in der Ausgabe vom 26. März. Mit den drei Talkrunden, die noch in der ZDF-Mediathek abrufbar sind, öffnet Lanz ein Schaufenster zu den Kommunen und setzt deren Perspektive auf die Agenda. Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte kommen zu Wort. Das bereichert den bundespolitischen Diskurs. Allerdings: Leider kreisen zumindest die Talkrunden vom 26. und 27. März zu einseitig und zu plakativ um das Thema Migration, als sei es das einzige, das die Städte beschäftigt.
Markus Lanz läuft Gefahr, Themen zu vermischen
Zudem gibt Lanz immer wieder den Mahner, der beispielsweise der „Fackel der Humanität“ in der Flüchtlingsfrage die Verteilungskämpfe um günstige und bezahlbare Wohnungen oder Kitaplätze gegenüberstellt. Dabei läuft er Gefahr, Themen, die so nicht zusammenpassen, zu vermischen und dadurch eine Neiddebatte zu schüren. Natürlich wird Wohnungsknappheit durch zusätzlichen Zuzug von Flüchtlingen verschärft, das ist in vielen Städten der Fall, doch sie hat vordringlich andere Ursachen. „Klar fehlen Wohnungen, das Problem liegt aber doch nicht in den Geflüchteten“, gibt Cordelia Koch, die Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Pankow, auf recht verlorenem Posten in der Sendung zu bedenken.
Tatsächlich liegt die Ursache für die prekäre Situation auf dem Wohnungsmarkt mit sozialem Sprengstoff oft vor allem in rückläufiger Bautätigkeit, bedingt durch hohe Baukosten und dadurch fehlende Rentabilität im sozialen Wohnungsbau. Dafür gibt Oberbürgermeisterin Katja Wolf aus Eisenach ein eindrucksvolles Beispiel: Dort ist die Zahl der Bauanträge von einem aufs andere Jahr von 180 auf elf eingebrochen. Eine solche Klarheit in der Sache lassen die Diskussionen streckenweise außer Acht.
Schieflage in Richtung Migration
Demgegenüber sind die polemischen Zuspitzungen und suggestiven Fragen Lanz, als es etwa um die bauliche Nachverdichtung in einem Berliner Innenhof geht (Lanz: „Statt der Bäume hast Du eine Flüchtlingsunterkunft“) oder als die Aachener Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen über die Verantwortung einer aufnehmenden Gesellschaft für das Gelingen von Integration spricht (Lanz: „Wenn jemand sich entscheidet, kriminell zu werden, was habe ich damit zu tun?“), teils fahrlässig. Bisweilen erwecken die Sendungen zudem den Eindruck, als ließen sich alle kommunalen Herausforderungen auf die Flüchtlingsfrage reduzieren. Das ist aber so nicht richtig, und gerade dieser Eindruck schürt Ressentiments gegenüber den Schwächsten.
Unabhängig von dieser Schieflage und davon abgesehen, dass maßgebliche urbane Transformationsprozesse wie die Verkehrswende, die Energiewende oder der Wandel der Innenstädte in den Sendungen kaum repräsentiert sind, gelingt es ihnen – insbesondere am 28. März – dennoch, einige Anliegen der Kommunen, die über Migration- und Integrationspolitik hinausgehen, zumindest anzureißen. Vor allem der Offenbacher Oberbürgermeister Felix Schwenke und Wolf sind es, die die Runde nutzen, um diesbezügliche Schlaglichter zu setzen.
Schlaglichter auf Anliegen der Kommunen
Es geht ihnen etwa um den mangelhaften Einbezug der Kommunen in Entscheidungen, die auf die kommunale Ebene durchschlagen, um die Abhängigkeit der Kommunen von der schwankenden Gewerbesteuer, um die Finanzierung defizitärer Leistungen wie den Betrieb eines Schwimmbads über den Querverbund oder um die immer brüchiger werdende Krankenhausfinanzierung. Es geht auch um das Konnexitätsprinzip. Darauf abzielende Diskussionsbeiträge, die strukturelle kommunalpolitische Fragen in einem bundesweiten Format sichtbar machen, machen den Wert der Sendung aus. Sie sind ihre Lichtblicke, die nicht in migrationspolitischer Schockstarre verhaftet bleiben.
Oder wie es Bezirksbürgermeisterin Koch an anderer Stelle auf den Punkt bringt: „Es ist die Frage, wie wir darüber reden.“ Und: „Wir suchen nicht nach Lösungen, sondern reden über Probleme. Auf der Suche nach Lösungen – da bin ich voll dabei.“ So sagt das Talkformat sowohl etwas über die Verfasstheit dieses Landes aus als auch über die Verfasstheit einer debattenprägenden Sendung, die Teil desselben ist.
Info
Andreas Erb ist Redakteur im Public Sector des F.A.Z.-Fachverlags. Für die Plattform #stadtvonmorgen berichtet er über urbane Transformationsprozesse, die Stadtgesellschaft und die internationale Perspektive der Stadt. Seit 1998 ist der Kulturwissenschaftler als Journalist und Autor in verschiedenen Funktionen tätig, seit 2017 als Redakteur im F.A.Z.-Fachverlag.