FROH’S NEUES (16): Uwe Conradt kritisiert die Bundes- und die Landespolitik: Es brauche Verlässlichkeit und Sensibilität für kommunale Lagen.

An der Schwelle zum neuen Jahr: Wo stehen die Städte? Welche Herausforderungen liegen vor ihnen, und was erhoffen sie sich von 2024? Wie sie ins neue Jahr schauen, als Stadtlenker, als Lokalpolitiker und ganz persönlich – das hat #stadtvonmorgen verschiedene Oberbürgermeister gefragt. In einer Serie zum Jahreswechsel spricht bis zum 3. Januar täglich ein Oberbürgermeister über seine Perspektive auf 2024. An dieser Stelle ist es Uwe Conradt, der Oberbürgermeister von Saarbrücken. Die Antworten aller Oberbürgermeister sind gebündelt in den #stadtvonmorgen-Newslettern am 27. Dezember (Teil 1) und am 3. Januar (Teil 2) zu lesen. (Die Anmeldung zum wöchentlich erscheinenden Newsletter ist kostenlos und hier möglich.) #stadtvonmorgen wünscht: Froh’s Neues!

„Von anderen politischen Ebenen weitgehend alleingelassen“

#stadtvonmorgen: Wenn Sie auf den Jahreswechsel schauen und die Situation der deutschen Kommunen reflektieren: Welche Themen bewegen die Städte am drängendsten? Wo liegen ihre zentralen Herausforderungen mit Blick auf 2024?

Uwe Conradt: Die Vertreter der Kommunen können zunehmend weniger die große Politik erklären: Ob Inflation, Heizung, Migration, Steuern, Förderungen, Bürgergeld, Arbeitskräftemangel oder finanzieller Notstand in den Krankenhäusern – wir erleben einen einzigartigen Vertrauensverlust aufgrund des Agierens staatlicher Akteure. Probleme wahrnehmen, Lösungswege aufzeigen, diese argumentativ belegen und entsprechend verlässlich handeln: All dies findet kaum noch statt. Die Medien haben an dieser Vertrauenskrise sicherlich einen Anteil, auch wenn sie nicht ursächlich sind. Die Kommunen können und müssen in ihrem Zuständigkeitsbereich versuchen, die Menschen bei all diesen kritischen Themen mitzunehmen. Wir stehen mit Blick auf die Stabilität des Systems vor großen Herausforderungen und ja, wir fühlen uns von den anderen politischen Ebenen weitgehend alleingelassen.

„Wir brauchen dringend eine politische Prioritätensetzung“

#stadtvonmorgen: Was braucht es, diese Herausforderungen zu lösen?

Uwe Conradt: Zunächst braucht es von den europäischen, nationalen und den landespolitischen Ebenen den Willen, die Bedürfnisse, Sorgen und Ängste der Menschen zur Kenntnis zu nehmen. Dort, wo Menschen sich in der Vergangenheit nicht gesehen gefühlt haben, steigt zunehmend Frustration auf, weil man den Eindruck hat, es wird gegen sie Politik gemacht. Dies halte ich für sehr gefährlich. Wir brauchen dringend eine politische Prioritätensetzung, die bei den Bedürfnissen, Sorgen und Ängsten der Menschen ansetzt, Menschen in Arbeit bringt, jene stärkt, die sich um sich und ihre Familie selbst kümmern, und gleichzeitig jenen zielgerichtet hilft, die wirklich Hilfe brauchen. Wenn 40 Prozent der in unserer Stadt eingeschulten Kinder nicht ausreichend deutsch sprechen können, dann braucht es nicht nur ausreichend Deutschkurse, sondern eine Regulierung der Zuwanderung, die die Systeme nicht überfordert. Kommunen in Haushaltsnotlagen hat der Bund eine Teilentschuldung versprochenen, stattdessen werden sie durch stark gestiegene Zinsen nun zusätzlich belastet. Kommunales Geld geht immer mehr auch in die Finanzierung von Krankenhäusern, weil Bund und Länder die Gesundheitsversorgung an die Wand gefahren haben und die kommunalen Politiker die Gesundheitsversorgung nicht sehenden Auges an die Wand fahren lassen wollen.

Uwe Conradt: Mit den Menschen im Dialog über die Zukunft

#stadtvonmorgen: Den Blick auf Ihre Stadt gerichtet: Welche lokalen Themen treiben Sie an der Schwelle zum neuen Jahr besonders um?

Uwe Conradt: Die Belastungen für Unternehmen durch Steuern und Bürokratie und eine niedrigere Frustrationstoleranz bei den Menschen sorgen mich stark. Die Stadt tut das in ihrer Macht stehende, um Saarbrücken attraktiver zu machen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt, die Integration und die Sicherheit zu fördern. Ich habe den Eindruck, dass es uns bislang insgesamt gut gelingt, viele Menschen im direkten Dialog auf den Weg in die Zukunft unserer Stadt mitzunehmen: ob Stadtteilentwicklung, Nachhaltigkeitsstrategie, Bauprojekte, Smart-City-Entwicklungsplan, Erweiterung der Fußgängerzone oder Fahrradwege. Aber auch hier haben wir Probleme, gerade wenn es um das Miteinander und die Integration geht. Wir dürfen nicht wegschauen und müssen für die Werte der offenen Gesellschaft werben.

#stadtvonmorgen: Was erwarten Sie persönlich von 2024?

Uwe Conradt: Wenn es nur so gut wie in 2023 bleibt, bin ich schon zufrieden.

Info

In der Serie „Froh’s Neues“ geben Oberbürgermeister ihre Perspektive auf das neue Jahr. Die Serie startet am 19. Dezember und läuft bis zum 3. Januar. Alle Interviews erscheinen gebündelt in den #stadtvonmorgen-Newslettern am 27. Dezember und 3. JanuarDie Anmeldung zum Newsletter ist kostenlos und hier möglich.
An der Befragung haben folgende Oberbürgermeister teilgenommen: Mike Josef aus Frankfurt am MainBoris Palmer aus TübingenEva-Maria Kröger aus RostockFrank Nopper aus StuttgartThomas Westphal aus DortmundKatja Wolf aus EisenachMarkus Lewe aus MünsterSibylle Keupen aus AachenDieter Reiter aus MünchenDirk Hilbert aus DresdenMarkus Zwick aus PirmasensJutta Steinruck aus LudwigshafenBeate Kimmel aus KaiserslauternKatja Dörner aus BonnFabian Geyer aus FlensburgUwe Conradt aus Saarbrücken und Frank Mentrup aus Karlsruhe.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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