Saarbrücken hat vor fünf Jahren den Klimanotstand ausgerufen. Doch ist er für die Klimaarbeit tatsächlich entscheidend? Ein Kommentar

Die Eindämmung der Klimakrise und ihrer schwerwiegenden Folgen als Aufgabe von höchster Priorität anerkennen: Das will der Beschluss, den der Saarbrücker Stadtrat am 18. Juni 2019 gefasst hat. Damit rief Saarbrücken als eine der ersten deutschen Städte – nach Konstanz im Mai 2019 – den sogenannten Klimanotstand aus. Diesbezüglich zieht die Stadt nun eine Zwischenbilanz. Die fällt positiv aus. „Seitdem Saarbrücken den Klimanotstand ausgerufen hat, haben wir zahlreiche Maßnahmen umgesetzt, um unserer Verantwortung zur Bekämpfung der Klimakrise gerecht zu werden“, sagt Oberbürgermeister Uwe Conradt. Die Priorität des Klimaschutzes hat zugenommen. Allerdings: Der zwingende Kausalzusammenhang zwischen den umgesetzten Klimaschutzmaßnahmen und dem damaligen Ratsbeschluss ist nicht immer offensichtlich.

Klimanotstand dynamisiert die Klimaarbeit

Zwar führt die Landeshauptstadt in ihrer Zwischenbilanz zum Klimanotstand nicht nur zahlreiche Maßnahmen des Klimaschutzes, sondern auch des Umweltschutzes und der Klimaanpassung auf das Ausrufen des Klimanotstands zurück. Demnach hat der Stadtratsbeschluss von 2019 die städtische Klimaarbeit tatsächlich dynamisiert. Doch er ist keineswegs der einzige Impulsgeber, der die kommunale Klimaarbeit prägt.

Dies verdeutlicht sogar die nun vorgelegte Zwischenbilanz. Beispiel: Klimaneutralität. Laut Beschluss zum Klimanotstand soll die Landeshauptstadt bis 2050 klimaneutral sein. Zwischenzeitlich hat die Stadt ihr Klimaschutzziel nachgeschärft. Nun will Saarbrücken 2045 die Klimaneutralität erreichen.

Energiewende, Klimaanpassung, Verkehrswende

Unter anderem fokussiert die Zwischenbilanz zum Klimanotstand die Energiesituation der Stadt, insbesondere den Ausbau der Solar- und Windkraftanlagen. Seit 2019 habe sich die Leistung aus Photovoltaik und Windkraft durch den Zubau von Anlagen um 30 Megawattpeak erhöht und damit mehr als verdoppelt. Die Stadt statte ihre Gebäude mit Photovoltaiktechnik aus und wirke in Genehmigungsverfahren etwa über Bebauungspläne entsprechend auf den Privatsektor. Auf die Transformation der Wärmeversorgung, die in jüngerer Zeit durch die Gesetzgebung zur kommunalen Wärmeplanung noch einmal an Dringlichkeit gewonnen hat, geht die Zwischenbilanz zum Klimanotstand jedoch nicht ein.

In Sachen Klimaanpassung und Verkehrswende schreitet die Stadt laut Zwischenbilanz ebenfalls progressiv voran. Exemplarisch führt sie die neue Begrünungssatzung, die zur stärkeren Stadtbegrünung und Entsiegelung beitragen soll, an. Zudem arbeite man etwa an einem Starkregenvorsorgekonzept, einem Regenwasserschutzkonzept, einem Hitzeaktionsplan und einem Hitzealarmplan. Im Bereich der Verkehrswende bringe die Stadt das Radwegenetz voran. Pionierhaft: das Modellprojekt „Tempo 30 in der Innenstadt“, mit dem Saarbrücken bundesweit in der Tempo-30-Debatte eine Vorreiterin ist.

Klimanotstand: Kontextualisierung fraglich

Allerdings ist bei vielen Projekten die von der Zwischenbilanz vorgenommene Kontextualisierung fraglich, augenfällig insbesondere am Tempo-30-Modell-Projekt. Selbst von der Zwischenbilanz lässt sich ableiten, dass dabei Klimaschutz und CO2-Reduktion wohl nicht die vordringlichsten Themen sind. Die schwingen zweifellos mit. Aber laut Zwischenbilanz zielt das Modellprojekt darauf ab, dass „Lärm reduziert, die Verkehrssicherheut erhöht und die Luftqualität verbessert“ wird.

Auch, dass Saarbrücken auf Vorschlag Conradts 2022 dem von der Europäischen Kommission ins Leben gerufenen Covenant of Mayors, der sich insbesondere für die Transformation des Energiesystems starkmacht, beitrat, hat nicht zwingend etwas mit dem Ausruf des Klimanotstands zu tun – auch wenn es in der Zwischenbilanz aufgeführt ist. Natürlich geht es dabei um den Klimaschutz. Aber wäre Saarbrücken dem Covenant of Mayors etwa nicht beigetreten, wenn die Stadt den Klimanotstand nicht ausgerufen hätte?

„Angepasst an aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse“

Am Ende bleibt also die Frage, wie relevant das Ausrufen des Klimanotstands für das städtische Handeln wirklich ist, auch nach der Saarbrücker Zwischenbilanz offen. Diese Frage warfen übrigens bereits 2019 einige Städte, die zum einen konsequent gegen die Klimakrise vorgehen, aber zum anderen eben nicht hochtrabend einen politischen Notstandsbeschluss herbeiführen wollten, auf. Braucht es den formalen Beschluss der Erkenntnis eines Notstands, um gute, pragmatische Klimapolitik zu betrieben? Üben beispielsweise in Sachen Energiewende nicht andere Faktoren – wie die grundsätzlichen klimapolitischen Notwendigkeiten oder die geopolitischen Verwerfungen aufgrund des Ukrainekriegs – einen viel stärkeren Einfluss auf das Voranbringen der Projekte aus als ein vor fünf Jahren gefasster Notstandsbeschluss?

Auf #stadtvonmorgen-Nachfrage teilt ein Stadtsprecher mit, dass die Stadt der Verpflichtung, die sich aus dem Klimanotstand ergibt, nachkomme. „Die Vielzahl an Maßnahmen, die seit dem Ausrufen des Klimanotstandes ergriffen wurden, belegen dieses Engagement. Klar ist auch, dass wir stets angepasst an aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse agieren. Die zurückliegenden und aktuellen Krisen haben dementsprechend auch einen Einfluss auf unser Handeln als Stadtverwaltung, denn sie zeigen, dass wir uns anpassen müssen, um resilienter zu werden“, heißt es aus Saarbrücken.

a.erb@stadtvonmorgen.de

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