OBM Peter Kurz ist mit World Mayor International Award ausgezeichnet. Ein Gespräch über die globale Dimension von Stadt und Städtediplomatie.

Im Zuge der Vergabe des World Mayor Prize, des Weltbürgermeisterpreises, wurde OBM Peter Kurz aus Mannheim mit dem Word Mayor International Award ausgezeichnet. Der Preis weist auf das internationale Engagement und das weltoffene Amtsverständnis des Oberbürgermeisters hin. Im Interview mit #stadtvonmorgen erklärt Kurz die zunehmend globale Rolle urbanen Engagements, die diplomatische Relevanz von Städtekooperationen und, was Mannheim diesbezüglich konkret tut. Kurz ist unter anderem auch Vorsitzender des Global Parliament of Mayors.

Die großen Themen konzentrieren sich in den Städten

#stadtvonmorgen: Herr Dr. Kurz, der World Mayor International Award zeichnet Sie für Ihr internationales Engagement und Ihr weltoffenes Amtsverständnis aus. Welches ist aus Ihrer Sicht die internationale Dimension von Stadt? Welche Rolle haben Städte für globale Entwicklungsprozesse?

Peter Kurz: Die Bedeutung von Städten im globalen Kontext ist spürbar steigend. Es wird immer klarer, dass sich die großen Themen in den Städten konzentrieren. Stichworte: Carbon Footprint, Migration und Integration, gesellschaftlicher Zusammenhalt und Zusammenleben in Vielfalt oder auch Pandemiebekämpfung und das Überwinden der Coronakrise. Dass Themen wie diese in Städten eine besondere Bedeutung haben und dass die Kommunen für deren Bewältigung gebraucht werden, wird auch den nationalen Regierungen und den supranationalen Organisationen wie der Europäischen Union erkennbar bewusster.

#stadtvonmorgen: Worin liegen die diesbezüglichen Stärken der Städte und Kommunen?

Peter Kurz: Sie hängen mit strukturellen Voraussetzungen zusammen. Erstens zeichnen sich Kommunalverwaltungen durch ihre Nähe zu Bürgerschaft und Stakeholdern aus. Sie können mobilisieren, sie gestalten das Gemeinwesen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Gerade in Zeiten des Wandels schaffen sie noch am ehesten Vertrauen. Zweitens sind Kommunen regelrecht dazu gezwungen, nicht sektoral zu denken, sondern horizontal. Stadtentwicklung hat immer mehrere Dimensionen wechselseitiger Abhängigkeit – vom Sozialen über Bildung, Städtebau, Mobilität bis hin zur öffentlichen Sicherheit. All diese Aspekte sind bei wichtigen Entscheidungen gleichzeitig zu denken und miteinander in Beziehung zu setzen. Eine solche raumbezogene Denkweise ist Teil der DNA von Kommunen. Auch diese Fähigkeit ist ein Grund dafür, warum die Bedeutung der Kommunen für die Bewältigung wichtiger Themen wächst.

Städtekooperationen als Element der internationalen Diplomatie

#stadtvonmorgen: Sie sprechen über den internationalen Wirkungsradius von Kommunen. Doch Internationalität zeigt sich auch in wechselseitigen, grenzüberschreitenden Beziehungen auf der kommunalen Ebene. Stichwort: Städtediplomatie und Städtekooperation. Welche Aufgaben können Städte hier übernehmen und vielleicht besser lösen als nationale und supranationale Ebenen?

Peter Kurz: Die partnerschaftlichen Beziehungen von Städten und Kommunen stehen in einer langen Tradition. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Bewusstsein sehr präsent, dass solche Direktkontakte und unmittelbare Begegnungen wichtig für die Völkerverständigung seien. Sie spielten eine wichtige Rolle beim Zusammenwachsen Europas. Heute ist der Gedanke des Agierens in Netzwerken dominant. Zugleich ist in den vergangenen Jahren eine Neuinterpretation des Städtepartnerschaftsgedankens zu verzeichnen, beispielsweise durch projektorientierte Entwicklungszusammenarbeit.

#stadtvonmorgen: Was ist dafür charakteristisch?

Peter Kurz: Städtekooperationen sind politische Verbindungen und werden auch so wahrgenommen. Dies macht den fachlichen gegenseitigen Austausch zu etwas Besonderem. Die kooperative Dimension geht gerade in der Entwicklungszusammenarbeit über die „reine technische Hilfe“ hinaus. Sie hat eine andere Aufmerksamkeit. Ihr Vorteil ist, dass die Zusammenarbeit von Kommunen durch Menschen erfolgt, die dasselbe Tagesgeschäft verantworten. Sie ist praxisnah und hat mehr als eine beratende Perspektive. Dazu kommen die Rückwirkung in die eigene, oft migrantisch geprägte Stadtgesellschaft und die inspirierende Kraft der Begegnungen und Erlebnisse als wichtige Motivation. In bilateralen Beziehungen kann die Städtediplomatie zur Verbreiterung und Stabilisierung gerade in schwierigen Momenten beitragen. Sie kann Kommunikationskanäle offenhalten und Begegnungen von Menschen ermöglichen. Am Beispiel des Verhältnisses zwischen Deutschland, Europa und Russland bin ich etwa der Meinung, dass ihm intensivere Stadt- und Kommunalbeziehungen gut getan hätten.

Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit von dritter Stelle

#stadtvonmorgen: Wie engagiert sich Mannheim konkret, was Städtekooperationen betrifft? Können Sie Beispiele nennen?

Peter Kurz: Die Auszeichnung des World Mayor International Award bezieht sich auf die Breite des internationalen Engagements der Stadt, das viele Facetten aufweist. Was Städtediplomatie und entwicklungspolitische Zusammenarbeit angeht, will ich drei Beispiele nennen. Das erste Beispiel ist eine Entwicklungspartnerschaft mit der türkischen Stadt Kilis und die Einrichtung eines Bildungszentrums für Frauen, dabei überwiegend syrische Geflüchtete. Mit dem Krieg in Syrien hat Kilis so viele Geflüchtete aufgenommen, dass sich die Einwohnerzahl verdoppelt hat. Die Einrichtung des Zentrums unterstreicht die Möglichkeiten und Verpflichtung denen zu helfen, die Geflüchtete aufnehmen – oft angemahnt und beschämend selten konkret umgesetzt. Gleichzeitig zeigt das Projekt den Aspekt der Einbindung der eigenen Stadtgesellschaft: Das Engagement wird unterstützt von großen Teilen unserer eigenen türkischen Community. Es ist ein wichtiges Signal in die Stadtgesellschaft: Zu zeigen, dass sich die Stadt auch für die Herkunftsregionen der Einwohner mit Migrationsgeschichte interessiert.

#stadtvonmorgen: Wie finanzieren sich solche Projekte? Allein durch städtische Mittel?

Peter Kurz: Ich erachte es für wichtig, dass – wenn sich Städte in dieser Form engagieren – die Mittel von dritter Seite kommen. Die Kommunen können ihre Expertise einbringen. Doch kommunale Steuermittel an anderen Orten der Welt einzusetzen, ist vor Ort zum Teil schwierig zu vermitteln. Umso dankbarer sind wir für die Unterstützung durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Auf eine solche Förderung können wir auch beim zweiten Beispiel zurückgreifen: dem erfolgreichen Aufbau eines Gründerzentrums im palästinensischen Hebron. Als drittes Beispiel möchte ich auf die Gestaltung von Plätzen und öffentlichem Raum im ukrainischen Czernowitz und im moldawischen Chisinau hinweisen. Dort haben wir über Projektpartnerschaften neue Ansätze der Bürgerbeteiligung und der kooperativen Planung eingebracht und damit kommunale Demokratie gestärkt.

Vielzahl aufstrebender Städtenetzwerke zeigt urbane Dynamik

#stadtvonmorgen: Die globale Dimension von Stadt und Urbanität gewinnt an Relevanz. Es ist erkennbar, dass sich immer neue Städtekooperationen und -netzwerke formieren. Doch ist diese Mannigfaltigkeit nicht ein Manko? Beispiel: Klimaschutz und Nachhaltigkeit. Hier gibt es etwa jüngst den Green City Accord, die Mannheim Message für lokale Green Deals, die Mayors Alliance für den European Green Deal von Eurocities, das schon länger bestehende Städtenetzwerk ICLEI oder das Klimabündnis – um nur wenige zu nennen. Da kann man schon den Überblick verlieren. Wäre es nicht angezeigt, die Anliegen der Städte stärker zu konzentrieren, um ihnen im Sinne der Multilevel Governance mehr Gewicht zu verleihen?

Peter Kurz: Ich sehe die Vielgestaltigkeit der Städtenetzwerke auch als Ausdruck der Situation, dass Strukturen für die Einbindung der lokalen Ebene in Entscheidungsprozesse formell noch nicht oder zumindest noch nicht überall etabliert sind. Letztlich ist die Frage, ob man besser mit vereinter Kraft in einem gemeinsamen Netzwerk seinen Interessen Gehör verschafft, oder ob dies mit einer Vielgestaltigkeit von Stimmen gelingt. Grundsätzlich kann man beide Einschätzungen vertreten. Realistischerweise ist die Zusammenführung der Stimmen aller Städte in einem einzigen urbanen Netzwerk aber kaum vorstellbar. Das hat auch mit der Vielgestaltigkeit der Anliegen, mit den unterschiedlichen Funktionen der bestehenden Netzwerke zu tun und damit, dass einzelne Städte immer ein Interesse daran haben, neben ihren Positionen auch sich selbst sichtbar zu machen. All dies wird sich in einer einzelnen Organisation nicht realisieren lassen. Themenbezogen werden wir eventuell einen Konsolidierungsprozess erleben. Doch die Vielzahl aufstrebender Städtenetzwerke unterstreicht die große internationale Dynamik, die von der kommunalen Ebene ausgeht – auch und gerade in dem von Ihnen angesprochenen Bereich des Klimaschutzes.

Soziale Ungleichheit in der Coronakrise auf die Agenda gesetzt

#stadtvonmorgen: Sie sind auch ausgezeichnet, weil sich Mannheim unter Ihrer Führung in der Coronakrise in besonderer Weise vulnerablen und benachteiligten Gruppen der Stadtgesellschaft widmete. Was konkret haben Sie getan?

Peter Kurz: Mannheim gehört in Deutschland zu den ersten Städten, die bei der Organisation von Impfungen auch Quartiere mit besonderen sozialen Herausforderungen in den Blick genommen haben – und das eben zu einem Zeitpunkt, als die Nachfrage nach Impfstoff noch deutlich größer als das Angebot war. Wir haben die soziale Ungleichheit beim Thema Impfen offensiv angesprochen und auf die politische Agenda gesetzt. Dies hatte unter anderem den Effekt, dass sich auch das Land Baden-Württemberg stärker damit befasste. Zudem haben wir am Anfang der Impfkampagne lokal versucht, Älteren und besonders Vulnerablen einen einfacheren Zugang zu Impfterminen zu ermöglichen, indem wir sie direkt mit Terminangeboten angeschrieben haben. Auf diese Weise haben wir Menschen erreicht, die sich bei Online-Terminvereinbarungen in der virtuellen Welt nicht zurechtfanden.

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